: Scharon in der Zwickmühle
Der israelische Regierungschef steht mit seinem Abzugsplan aus dem Gaza-Streifen innerparteilich unter Beschuss. Eine politische Alternative hat er aber nicht. Eine von ihm bevorzugte Koalition mit der Arbeitspartei wird zurzeit vom Likud blockiert
AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL
Der Countdown läuft. In neun Tagen soll die Knesset, das israelische Parlament, über den Abzugsplan aus dem Gaza-Streifen entscheiden. Es ist der einzig konkrete Plan von Israels Premierminister Ariel Scharon, um aus der derzeitigen politischen Sackgasse herauszukommen. Und er steht unter denkbar ungünstigen Vorzeichen.
Anfang der Woche hatte Scharon zur Eröffnung der winterlichen Sitzungsperiode eine Rede über den Abzugsplan sowie über von ihm geplante Wirtschaftsreformen gehalten. Bei einer informellen Abstimmung darüber war sie nur von 44 der 120 Abgeordneten gutgeheißen worden, selbst 15 der 40 Likud-Abgeordneten hatten gegen ihren Chef gestimmt, und von allen Seiten war der Ruf nach einem Rücktritt Scharons laut geworden. Auch Schimon Peres, der Chef der Arbeitspartei, hatte gegen Scharon gestimmt, denn seine Partei lehnt die Wirtschaftsreformen ab. Für die Abstimmung über den Abzugsplan in der kommenden Woche versprach Oppositionsführer Peres dem Ministerpräsidenten hingegen ein „Sicherheitsnetz“: Die Abgeordneten der Arbeitspartei würden für den Abzugsplan stimmen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Scharon zum Rücktritt aufgefordert wird. Er überhört das, wie immer, was in diesem Fall hoffen lässt, denn er ist der Einzige, der den Abzugsplan umsetzen kann. Finanzminister Benjamin Netanjahu sitzt in den Startlöchern für eine mögliche Nachfolge. In punkto Abzugsplan fuhr er bislang einen Zickzackkurs: Zunächst gehörte er zu den Gegnern, unterstützte dann den Premier, und schließlich folgte er dem Votum der Partei, die mehrheitlich gegen den Plan stimmte. Innerhalb des Likud gilt Netanjahu als starker Mann. „Seit der Abstimmung im Likud agiert Scharon als Premierminister in Netanjahus Kabinett“, schrieb die Tageszeitung Ha’aretz.
Trotz seiner schwachen Position in der Partei, im Kabinett und in der Knesset gilt Scharon in der israelischen Bevölkerung jedoch noch immer als der populärste Politiker und scheint der geeignetere Mann zu sein für den Balanceakt zwischen den Fronten – der noch immer darniederliegenden Linken, die erfolglos für eine bilaterale Lösung plädiert, und der Rechten, die jede Auflösung von jüdischen Siedlungen strikt ablehnt.
Finanzminister Netanjahu fordert ein Referendum über den Abzugsplan. Obwohl die Umfragen auf eine klare Mehrheit für den Abschied vom Gaza-Streifen deuten, lehnt Scharon eine Volksbefragung ab. Die Siedler würden das Ergebnis eines Referendums ohnehin nur dann akzeptieren, so konterte er, wenn „60 Prozent für den Abzug sind“.
Er beharrt darauf, dass der Abzugsplan gemäß dem festgelegten Zeitplan umgesetzt wird. So bleiben drei Möglichkeiten: Neuwahlen, eine Regierungsumbildung oder nichts tun, sprich: den Abzugsplan mit den Stimmen der Opposition verabschieden und versuchen, ihn mit der bestehenden Regierung umzusetzen. Theoretisch wäre das denkbar, doch über Scharon würde weiter wie in den vergangenen Monaten das Damoklesschwert einer Minderheitsregierung schweben.
„46 Prozent für Neuwahlen“, berichtete die auflagenstärkste Tageszeitung Jediot Achronot diese Woche und prophezeite dramatische Veränderungen in der Parteienlandschaft. So sei der Likud heute ideologisch zerstritten zwischen den Pragmatikern, die territoriale Zugeständnisse erwägen, und den Ewig-Unverbesserlichen, die von Groß-Israel nicht lassen wollen. Die Politiker sämtlicher Parteien sind mehrheitlich gegen Neuwahlen, da diese an der bestehenden Mandatsverteilung im Parlament kaum ändern würden. Ein vorzeitiger Urnengang beinhaltet für sie immerhin das Risiko, dass sie ihren Posten verlieren.
Scharon würde gerne eine neue Koalition bilden, diesmal mit der Arbeitspartei, mit der er auch für die kommende Woche bereits ein Treffen vereinbart hat. Die vor ein paar Monaten aufgenommen Koalitionsverhandlungen waren eingestellt worden, nachdem der Likud-Zentralrat gegen ein Zusammengehen mit den Sozialisten entschieden hatte.
Für Scharon ist ein Votum seiner Partei zwar nicht bindend, doch die Arbeitspartei zeigte sich irritiert. Deren Fraktionschef Ofir Pines-Pas lehnt Koalitionsverhandlungen ab, solange der Likud-Zentralrat die frühere Abstimmung nicht für ungültig erklärt. Auch für Peres scheint der Posten des Außenministers nicht mehr so attraktiv zu sein. Er ziehe es vor, einer so „desorientierten Regierung“ wie der derzeitigen vorläufig fernzubleiben, ließ er verlauten.