Bremen trinkt sich hoch

Ein Trend, ein neuer Trend: Die Whiskywelle schwappt nach Bremen. Am Wochenende tranken sich weit über 1.000 Interessierte durch eine „Convention“ – bei der es beileibe nicht nur Racke Rauchzart gab

JedeR unserer Durchschnittsmitbürgerinnen und Durchschnittsmitbürger nimmt jährlich 12 Liter reinen Alkohols zu sich. Und der Anteil der BremerInnen, die das in Form von Whisky tun, scheint in den letzten Jahren stetig zu steigen.

Eines der vielen Indizien: Am Wochenende boomte im Park-Hotel Bremens erste „Whisky Convention“, aus dem Stand „Norddeutschlands größte Whiskymesse“, wie die Veranstalter schreiben. Dass es auch Nordddeutschlands einzige ist, unterstreicht Bremens Eignung als Whiskyhochburg nur noch deutlicher.

Jetzt aber zur Sache, zum als „Highlight der Messe“ angekündigten Macallan Fine Oak. Erstes Glas, 12 Jahre alt. Vortrinker ist Jürgen Deibel, seines Zeichens „Distilled Spirits Consultant“, ein systematischer Mittvierziger. Also Farbanalyse: Ist der Tropfen tiefgolden, Bernstein oder gar „flüssiger Sonnenschein“? Deibel entscheidet auf „kräftiges Strohgelb“. Dann der Duft: „Ein Hauch von Früchten und wildem Reis“. Geschmack – unter anderem – „eichentönig“. Und der Abgang? Deibel: „Ich sag‘ Nachklang, das klingt schöner.“ Und der sei lang und würzig.

100 Augen und 50 Zungen folgen Deibels Analysen, zwischen bärtigen Backen wird umgespült, Kennerblicke ergründen im Glas, ob die Schlieren auch schön ölig runterlaufen. Eine versierte Teilnehmerin aus Neuss füllt eifrig kleine Pröbchen ab („für unseren Bekannten, der hatte keine Zeit“), da kommt auch schon der 18-Jährige. Der ist nun nicht mehr „sherryoverpowered“, wie wir zusammen mit Deibel formulieren – da zahlt sich wohl die strikte Fasspolitik des Hauses Macallan aus. Nicht nur der Anbau der Fass-in-spe-Bäume wird kontrolliert, auch sämtliche Zwischenfüllungen mit Sherry, Most und Bourbon.

Jetzt aber mal ein richtiger Sprung: Zum Replikat eines 1841-er Macallans, was, nebenbei gesagt, einer Preisverfünffachung auf 185 Euro entspricht. Der historische Tropfen ist aus Beimischungen von 1.500 Fässern rekonstruiert. Geht durchaus runter – aber Moment mal: Heißt sowas beim Wein nicht „panschen“? Zum Glück sitzt ein Fachmann in der Nähe: Sönke Pries, zweiter Vorsitzender des Scotch Clubs Bremen. Pries („seit 15 Jahren trinke ich sehr interessiert“) erklärt: „Bei Wkisky ist das Mischen okay. Wir nennen es ,komponieren’.“ Na dann. Vor anderthalb Jahren hat sich sein Club gegründet, jetzt gibt es schon 70 Mitglieder, und alle Tastings der nächsten Zeit sind ausgebucht.

Auch bei Deibel nimmt das Trinken seinen Lauf. Eine Truppe Bremerhavener hat es sich in der letzten Reihe bequem gemacht, später sagt einer von ihnen: „Noch zwei Gläser, und ich hätte das Gefühl gehabt, gleich eine Heizdecke kaufen zu müssen.“ Was ihn und seine Kumpels aber nicht hindert, tapfer auszuharren, bis die Probierflaschen auch wirklich leer sind. Ja, auch in BHV grassiert das Whiskyfieber, zumal es dort einen echten Standortvorteil gibt: die zollfreie Nähe zu Helgo- respektive „Klein-Schottland“.

Whisky trinkt, wer auch Zigarren, Kamine und nordische Landschaften mag. Klischees sind schließlich zum Stimmen da. Allerdings: Dass nur gesetztere Semster auf Whisky schwören, will sich bei der Bremer „Convention“ nicht wirklich bewahrheiten. In den Sesseln lümmeln auch Oldenburger Studentinnen, die sich bei einem Bier von den vorausgegangenen Whiskyrunden erholen.

Da muss man auch erst mal durchkommen: 22 Importeure haben ihre üppig bestückten Stände aufgebaut, alles da, bis hin zu Racke Rauchzart aus deutschen Landen. Nur alkoholfreien Whisky sucht man, wenn man ihn denn sucht, vergebens. Dabei wurde in Singapur schon vor drei Jahren ein entsprechendes Destillat aus Apfelsaft entwickelt.

Mittendrin: Klaus Sander. Er ist der Mann, der Bremen auf seinem Weg zur Whiskystadt weiterhilft. Die hiesige Genussmitteltradition sei dafür eine prima Grundlage, sagt der Messeorganisator, allein am Samstag hätten sich an die siebenhundert Menschen durchs Sortiment getrunken. In der Tat: Die Nachfrage der Community scheint enorm, selbst auf den Toiletten wird gefachsimpelt. „Im Abgang war der prima – Und wann fährt der Zug? – Dann können wir ja noch mal.“

Henning Bleyl