Lenins Lehre

Die Revolution des Internet braucht Zeit, ist aber unaufhaltsam. Das muss der Apple-Chef noch lernen

Nur komplett berufsblinde Politiker und Kulturkritiker glauben, das Internet sei ein schnelles Medium. Sie haben keine Ahnung, weil sie das Internet nur vom Hörensagen kennen. Das Internet ist langsam. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis es überhaupt aus der Nische einiger exotischer Militärtechniker und Informatiker an ausgewählten Unis herauskam. Heute, fast 40 Jahre nach seiner Erfindung, haben erst 61 Prozent der Erwachsenen in Deutschland einen Anschluss. Das sind nur 6 Prozent mehr als vor einem Jahr, berichtet die Forschungsgruppe Wahlen, und hält das zu Recht für Stagnation.

Die digitale Revolution kommt nur im Schneckentempo voran, und sie hat an den grundsätzlichen Missständen der modernen Gesellschaften noch nichts geändert: Noch immer sind viel weniger Frauen als Männer im Netz, viel weniger Ossis als Wessis und viel weniger Arme als Reiche. Nur die statistisch ohnehin wachsenden Alten haben ein klein wenig nachgeholt: Etwa ein Viertel von ihnen surft hin und wieder.

Lenin hätte sich darüber nicht gewundert. Er wusste am besten, dass Revolutionen die Mängel der Vergangenheit mit sich herumschleppen und deshalb entsetzlich mühsam, langweilig und zäh sind. Steve Jobs muss das noch lernen. Nicht nur seine revolutionären Apple-Computer stagnieren, dasselbe Schicksal droht jetzt auch der Revolution seines „iTunes Music Store“. Das hat die Forschungsgruppe „NPD“ in Port Washington, New York herausgefunden. Sie ist besonders glaubwürdig, weil sie schon seit 1953 den amerikanischen Markt untersucht und sich deshalb schon lange nicht mehr von Medienhypes beeindrucken lässt. Die Zahl der iTunes-Kunden hat sich in den Sommermonaten auf etwa eine Million eingependelt. Das ist ein Drittel weniger als zur Zeit der Markteinführung. Die NPD-Forscher finden das vollkommen normal. Bei „traditionellen Konsumgütern“, sagen sie, sei das immer so. Werbekampagnen können nur Strohfeuer entfachen, die langfristige Nachfrage ist davon nicht abhängig.

Schon Lenin wusste, dass die revolutionäre Ungeduld nur ein Kennzeichen kleinbürgerlichen Denkens ist. Proletarische Revolutionen brauchen Zeit, aber sie sind unaufhaltsam. Stetig wächst nach den Erkenntnissen der unbestechlichen Marktforscher allein die Zahl der Nutzer von kostenlosen Tauschnetzen. Selbst in den USA, wo die Musikindustrie besonders rabiate Anwälte gegen sie losschickt, sind im letzten Jahr 1,3 Millionen neue Teilnehmer dazugekommen. Es sind jetzt 6,4 Millionen. Das sind etwa 25 Prozent mehr. Und sie haben Zeit. NIKLAUS HABLÜTZEL