Manche Räder stehen still …

… wenn der Absatzmarkt es will. Bei Opel verzichten 5.500 Arbeiter auf je 85 Euro monatlich, um 1.200 Kollegen die Arbeitsplätze zu retten

aus RüsselsheimKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Die Automobilwerker, die gestern Nachmittag durch die Werkstore der Adam Opel AG in Rüsselsheim zur Spätschicht strömten, wussten schon Bescheid. „Weniger arbeiten für weniger Geld“, darauf laufe alles hinaus, sagte ein 45 Jahre alter – türkischstämmiger – Deutscher aus der Hinterachsenmontage, der schon 26 Jahre bei Opel arbeitet. Begeistert vom neuen Modell „30 plus“ ist er nicht. Schließlich habe die Belegschaft im Rahmen des laufenden Sparprogramms „Olympia“ schon genug Opfer gebracht. Und in den Opel-Werken in ganz Europa, die alle dem US-amerikanischen Automobilbaugiganten General Motors gehören, seien „massiv Arbeitsplätze abgebaut“ worden. Doch wenn es jetzt mit dem Zusatzprogramm „30 plus“ tatsächlich keine weiteren Entlassungen in der Produktion mehr gebe, könne er damit leben.

So wie er denken aktuell fast alle: „Vorwärts und nicht vergessen: die Solidarität.“ Rund 5.500 Arbeiter bei Opel verzichten ab Montag bis Ende 2004 auf durchschnittlich 85 Euro monatlich, um 1.200 Kollegen die Arbeitsplätze zu erhalten. So viele Stellen wollte der Vorstand in der Produktion gestrichen sehen. Die Krise in der Branche ist latent. Ganz so schwer fällt den Beschäftigten der partielle Lohnverzicht allerdings nicht. Die Löhne bei Opel mit all ihren Zulagen waren seit Jahrzehnten höher als irgendwo sonst in der hessischen Metallindustrie. Und das aktuelle Modell „30 plus“ verkürzt die Wochenarbeitszeit für die ehemaligen „Blaumänner“, die heute in den klinisch sauberen Montagehallen hellgraue Kittel tragen, von 35 auf nur noch 30 Stunden. Den vollen Lohnverzicht müssen die Opelarbeiter nicht leisten. Von den fünf gestrichenen Stunden bezahlt Opel 2,6. „Nur“ das Geld für die restlichen 2,4 Wochenstunden geht den Malochern an den Bändern verloren. Ein Verhandlungserfolg des Betriebsrates um den Vorsitzenden Klaus Franz. Gehört „Vati“ bei Opel also auch bald freitags der Familie?

Wohl kaum. Denn der Vorstand um Boss Carl-Peter Forster will die vorhandene Arbeitszeit neu verteilen: zum Beispiel auf drei Schichten auch bei der am nächsten Montag anlaufenden Produktion des neuen Vectra Caravan. Mit diesem Auto will Opel aus der Krise fahren – und dann mit dem neuen Asta rein in die schwarzen Zahlen. Dort wollte Forster eigentlich schon Ende 2003 angekommen sein. Doch die Einbrüche bei den Absatzzahlen gerade im dritten Quartal 2003 weisen auf eine schlechte Bilanz für das laufende Geschäftsjahr hin. Vom Rosarot der Bilanz 2002 wieder zum Tiefrot der bösen Krisenjahre um den Jahrtausendwechsel? Damals erwirtschaftete Opel Verluste knapp unter der Milliardengrenze. Vorstandsmitglied Norbert Küppers jedenfalls befürchtet erneut einen Bilanzverlust „in dreistelliger Millionenhöhe“.

„30 plus“ soll Opel also über die Zeit retten. Die Produktion sei der Absatzlage angepasst, resümierte der Betriebsrat. Und alle machen mit. Die Angestellten arbeiten drei Stunden mehr pro Monat bei gleicher Bezahlung. Und die Führungskräfte verzichten zusätzlich auf zwei Urlaubstage. Lob für diese ultimative Form der Rettung von Arbeitsplätzen gibt es von allen Seiten. Der (Auto-) Kanzler ist begeistert; und auch die Politiker in der Stadt Rüsselsheim mit ihren 60.000 Einwohnern. SPD-Landrat Enno Siehr etwa konstatierte, dass man bei Opel in der Lage sei, „ideenreich und solidarisch“ zu handeln. In die Schar der Gratulanten reihte sich auch der zweite Vorsitzende der IG Metall ein. Berthold Huber sagte, dass man in Rüsselsheim „vom Grundsatz her auf dem richtigen Weg“ sei. Das Arbeitszeitmodell zeige, dass das Prinzip der Solidarität zwischen den Arbeitnehmern funktioniere.

Aber wie lange? Sollte der neue Astra nicht der erwartete Renner werden, dürfte auch eine Neuauflage von „30 plus“ nicht mehr ausreichen, um die Arbeitsplätze bei Opel zu sichern. Dass es ein Fehler gewesen sei, den neuen Astra schon auf der IAA vorzustellen, ihn aber erst ab dem Frühjahr 2004 zu verkaufen, wird schon heute hinter vorgehaltener Hand auch in der Vorstandsetage von Opel geunkt. So lange nämlich warte die potenzielle Kundschaft für ein Fahrzeug dieser Klasse nicht mit dem Kauf. Schließlich stehe der neue Golf – das Konkurrenzprodukt – schon seit Anfang Oktober bei den Händlern. Und der Astra noch in den Sternen. Wolfsburg vorne? Im Fußball bestimmt. VfL Wolfsburg kickt in der Bundesliga; Opel Rüsselsheim in der Bezirksliga Darmstadt West (abstiegsgefährdet).