Raus aus einer „Welt ohne Chance“

betr.: „Tödliche Flucht nach Europa“, taz vom 1. 4. 09

Wieder sind Hunderte von Afrikanern bei ihrem Versuch, Europa zu erreichen, im Mittelmeer ertrunken. Als Grund für die Flucht wird die diktatorische und kriegerische Politik einheimischer Machthaber in Afrika angegeben, mit der der Kontinent heruntergewirtschaftet wurde. Und dies trotz über 60 Jahren Entwicklungszusammenarbeit Afrikas mit den westlichen Industrieländern und inzwischen auch mit China – oder gerade deswegen?

Eine für Wachstum und wirtschaftlichen Wohlstand westlicher Industrieländer notwendige Entwicklungspolitik sorgt seit Jahren dafür, dass Afrika seine reichen und vielfältigen Rohstoffvorkommen nicht selbst verarbeitet, sondern exportiert, und zum Teil mit Entwicklungshilfegeldern und erwirtschaftetem Einkommen als Fertigware wieder importiert. Gleichzeitig damit verbreiten öffentliche Medien weltweit Traumvorstellungen von einem besseren Leben mit westlichen Kulturgütern verbunden mit einer Abqualifizierung afrikanischer Lebensqualität, afrikanischer Potenziale und Möglichkeiten. Denn nur so ist der Absatz westlicher Kulturgüter in afrikanischen Ländern nachhaltig gesichert.

Bei unserem letzten Aufenthalt in Äthiopien Anfang dieses Jahres mussten wir feststellen, dass dort die Zahl der Obdachlosen und Bettler in den letzten zwei Jahren um ein Vielfaches zugenommen hat. In Äthiopien wie auch in vielen anderen afrikanischen Ländern erfährt die Bevölkerung die Weltwirtschaftskrise vornehmlich darin, dass sich die Preise für Grundnahrungsmittel zum Teil mehr als verdoppelt haben. Dies wirkt sich für viele Menschen, die bislang ihr gesamtes Einkommen für diese Grundnahrungsmittel ausgegeben haben, fatal aus. In Äthiopien und auch in anderen afrikanischen Ländern ist bekannt, dass in den westlichen Industrieländern durch die Krise noch keiner verhungert ist wie so viele im eigenen Land.

Auch das ist ein Grund für die Flucht – raus aus einer Welt „ohne Chance“ hinein in eine Welt, in der ein „Überleben in der Krise“ noch möglich zu sein scheint. CHRISTIANE HOPFER, Heidelberg