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Archiv-Artikel

HSV ist die neue Nummer zwei

Das Aus der SG Flensburg-Handewitt in der Champions League gegen den HSV zementiert die Wachablösung im Handball. Gegen die Liga-Krösusse können dänische Sponsoren nicht mithalten

KIEL IM HALBFINALE – UND UNTER VERDACHT

Zum dritten Mal in Folge hat Handball-Meister THW Kiel das Halbfinale der Champions League erreicht. Die Kieler setzten sich am Samstag im Viertelfinal-Rückspiel gegen den kroatischen Serienmeister Zagreb mit 31 : 27 (17 : 11) durch. In der Affäre um angebliche Schiedsrichterbestechung der Kieler in der Champions League sind neue Zeugen aufgetaucht. Einer von ihnen bestätigte laut Spiegel Vorwürfe von Andreas Rudolph, Präsident des Bundesligisten HSV Handball. Danach soll THW-Manager Uwe Schwenker am 30. Juli 2007 in Rudolphs Haus auf Mallorca den Gästen von 120.000 Euro berichtet haben, die er für die Bestechung von Referees gezahlt habe. Im herzegowinischen Mostar hat der Spiegel den Vater des THW-Spielers Igor Anić ausfindig gemacht. Zeljko Anić berichtete, nach den ersten Meldungen über die Affäre habe man telefonisch versucht, ihn zu der Falschaussage anzustiften, er habe 36.000 Euro für den Transfer seines Sohnes erhalten. Die Summe entspricht einer Teilzahlung, die der Kroate Nenad Volarević vom THW unter dubiosen Umständen erhalten hat. Volarević hatte behauptet, das Geld für den Anić-Transfer bekommen zu haben. DPA/TAZ

VON RALF LORENZEN

Der Handball wird im Moment aus allerfeinstem Tragödienstoff gefertigt. Während der in Kiel tobende Bestechungsskandal manchen Kommentatoren bereits an den Kampf um Troja erinnert (siehe taz vom 29. 3.), verlagerten die anderen beiden Bundesligavereine aus dem Norden das Drama am Freitag wieder auf das Spielfeld zurück. So sehr der HSV und die SG Flensburg-Handewitt in ihrer Abneigung gegen den Marktführer aus Kiel im Moment zusammenhalten – im Viertel-Finale der Champions League lieferten sie sich einen Krimi, den Flensburgs Trainer Per Carlén so beschrieb: „Kampf, Blut, Emotionen – das war Handball in seiner reinsten Form.“

Die geheimen dramaturgischen Gesetze dieses Sports sorgten wieder einmal dafür, dass eine Auseinandersetzung trotz insgesamt 113 Treffern erst in den letzten Sekunden entschieden wurde. Dabei führte der mit drei Toren Rückstand aus dem Hinspiel angereiste Außenseiter 17 Minuten vor Schluss schon deutlich mit sechs Toren. Und hatte sieben Sekunden vor Schluss bei doppelter Überzahl die Chance, mit einem einzigen Tor die Sensation zu schaffen. Den entscheidenden Fehlpass spielte ausgerechnet ihr Bester. Der erst 20-jährige Trainersohn Oscar Carlén hatte mit zehn Treffern seine variantenreich agierende Mannschaft über das gesamte Spiel in Führung gehalten und spielte dann den letzten Ball so schlampig, dass Hamburgs Hans Lindberg ihn zu seiner eigenen Überraschung plötzlich in den Händen hielt.

Zum tragischen Helden wurde allerdings der Däne Lasse Boesen, der eine Viertelstunde vor Schluss umknickte, aber bandagiert und humpelnd wie in einem Schlachtengemälde von Delacroix zu Ende spielen musste, da den Flensburgern nur eine einzige vollwertige Rückraumformation zur Verfügung stand. Insgesamt setzte die SG nur neun Spieler ein, während der HSV vierzehn Akteure auf Feld schickten konnte.

„Ich habe ihm gesagt: das sind nur 15 Minuten in deinem Leben“, schilderte Carlén nach dem Spiel gestenreich, wie er den schmerzverzerrten Boesen zum Durchhalten bewegt hatte. Der überraschend gut gelaunte Trainer konnte der Niederlage sogar noch etwas Positives abgewinnen: „Für uns ist es vielleicht ein großes Glück, dass wir nicht ins Halbfinale gekommen sind. So habe wir jedenfalls nicht noch mehr Spiele, was uns angesichts unserer Verletztenliste entgegenkommt.“

In der Bundesliga-Tabelle liegen die erfolgsgewohnten Flensburger mit Platz sieben meilenweit hinter einer erneuten Qualifikation zur Champions League zurück. Während Carlén das ehrenhafte Ausscheiden gegen den HSV als Startsignal zur Aufholjagd sieht, besteht die reale Gefahr, dass es der letzte Akt in der Wachablösung im deutschen Handball gewesen sein könnte. Jahrelang beanspruchten die Flensburger neben dem großen THW Kiel ein eigenes kleines Königreich mit Meistertiteln und Pokaltriumphen. Im größer gewordenen Handball-Reich, das die Krösusse aus Kiel, Hamburg, Mannheim und Lemgo nach und nach unter sich aufteilen, droht ihnen das Schicksal eines gallischen Dorfes, dass die Imperatoren nur noch hin und wieder ärgern kann.

Den besten Beleg für diese Gefahr bot der Blick auf die Bank des HSV, wo sich unter anderem mit Marcin Lijewski und Blaženko Lacković Spieler lange Ruhepausen gönnten, die in der letzen Saison noch den Kieler Rückraum bevölkerten. Die Grenzstädter können noch so viele Sponsoren im dänischen Nachbarland akquirieren– gegen Großgönner wie Dietmar Hopp bei den Rhein-Neckar Löwen und Hamburgs Andreas Rudolph haben sie im ökonomischen Machtkampf kaum eine Chance.

Das wird durch den nicht abgeschlossenen Umbruch auf der Führungsebene nicht einfacher. Nachdem Trainer Kent-Harry Andersson und Teammanager Anders-Dahl Nielsen schon ersetzt wurden, verlässt nach Informationen des Flensborg Avis am Saisonende auch Geschäftsführer Fynn Holpert die Fördestadt. Ihn zieht es nach einer unbestätigten Meldung der Zeitung zur Heristo AG – dem Hauptsponsor des TVB Lemgo.

Trotz seines ungebrochenen Optimismus ahnt wohl auch Per Carlén, wo seine Mannschaft künftig ihre Marktnische suchen muss. „Mit jungen Spielern großen Kampf liefern – das wird unsere Trademark“, sagte er nach dem Spiel. Dafür war das Drama gegen den HSV die perfekte PR-Show.