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Archiv-Artikel

„Eine Politik ohne Automatismen“

Robert Habeck, Parteichef der Grünen in Schleswig-Holstein, im taz-Interview über die Landtagswahl im Mai 2010, über ungeliebte und sympathische Koalitionspartner – und die Notwendigkeit, das Denken in alten Lagern zu überwinden

WAHLEN IN KIEL

Der schleswig-holsteinische Landtag wird im Mai 2010 erneut gewählt. Seit der vorigen Wahl 2005 regiert an der Kieler Förde eine große Koalition von CDU und SPD unter Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU). Die Opposition aus Grünen, FDP und Südschleswigschem Wählerverband (SSW) kommt zusammen auf 10 der 69 Mandate im Landtag. Zuvor war SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis mit dem Versuch gescheitert, ein rot-grünes Bündnis unter Tolerierung des SSW zu bilden. Bei vier Wahlgängen im Parlament versagte ein bis heute unbekanntes Mitglied der SPD-Fraktion ihr die Gefolgschaft, die Ein-Stimmen-Mehrheit war dahin, Simonis trat zurück. Für die Landtagswahl 2010 werden Verluste bei CDU und SPD erwartet, Grüne, FDP und SSW können hingegen mit Zugewinnen rechnen. Ob die Linkspartei die Fünf-Prozent-Hürde überspringt, ist offen.  SMV

INTERVIEW SVEN-MICHAEL VEIT

taz: Herr Habeck, Schleswig-Holsteins Grüne wollen ohne Koalitionsaussage in die Landtagswahl in einem Jahr gehen. Warum ist die SPD nicht mehr der Wunschpartner?

Robert Habeck: Weil wir wissen, dass wir unsere Inhalte gegen alle anderen Parteien umsetzen müssen, die SPD eingeschlossen. Die Erfahrungen in rot-grünen Koalitionen – acht Jahre in Schleswig-Holstein, sieben im Bund – sind nicht dazu angetan, Vorschusslorbeeren zu verteilen. Die Erfolge, derer sich die SPD jetzt rühmt, mussten wir ihr abtrotzen: Atomausstieg, Ökosteuer, Erneuerbare Energien, Verbraucherschutz. Und in Schleswig-Holstein trägt die SPD in der großen Koalition viele Dinge mit, die konterkarieren, was wir Grüne wollen.

Um regieren zu können, müssen die Grünen mit einer der beiden großen Parteien koalieren. Ist Ihnen die SPD nicht trotz allem näher als die CDU?

Ja, sicher, programmatisch ist das so. Aber ich will die Grünen nicht über die Nähe, sondern den Abstand zur SPD definieren.

Sie gelten als jemand, der mit Schwarz-Grün liebäugelt.

Ich gelte hoffentlich als jemand, der die Grünen nicht als Anhängsel einer anderen Partei definiert. Das Risiko von Zuschreibungen, wie sie aus Ihrer Frage sprechen, muss ich wohl eingehen. Aber sie sind falsch. Sie sehen eine neue Zeit durch eine alte Brille. Die CDU ist mit den Problemen des Landes vollkommen überfordert, sie tut alles, um nichts zu ändern. Und im Moment versinkt sie im Machtkampf. Da gibt es sicher kein Liebäugeln.

Sie möchten also nicht, dass die Grünen offen für alles und alle werden?

Natürlich nicht. Ich möchte, dass sie inhaltlich selbstbewusster werden und Koalitionsverhandlungen auch mal an inhaltlichen Differenzen scheitern lassen. Gegenüber machtstrategischen Fragen können sie aber ruhig gleichgültiger sein. Die Dynamik zurzeit im Parteiensystem ist eine Chance. Das Denken in alten Kategorien und Lagern zu überwinden, ist richtig und eine Politik ohne Automatismen ehrlicher.

Aber auch unübersichtlicher?

Das ist der Preis. Aber wenn wir nach der Wahl zwei oder drei Optionen haben, können wir mehr durchsetzen, als wenn wir auf Gedeih und Verderb auf nur eine Möglichkeit angewiesen wären.

Sie sind Parteichef und wollen an vorderer Stelle für den Landtag kandidieren. Da sollten Sie für einen klaren Kurs stehen. Wo, bitte, wollen Schleswig-Holsteins Grüne hin?

Der Kurs ist glasklar, nur führt er eben über unbeschrittenes Terrain. Er richtet sich nur nach den Inhalten. Wenn andere ernsthaft helfen wollen, unsere politischen Schwerpunkte umzusetzen, sind sie willkommen. Sonst regieren wir eben nicht.

Welche Schwerpunkte sind denn nicht verhandelbar?

Atomausstieg, Energiewende, Klimaschutz, Bürgerrechte.

Der schleswig-holsteinische Landtag ist bunt: CDU, SPD, Grüne, FDP und SSW. Sollte nächstes Jahr noch die Linke dazukommen, wären es sogar sechs Fraktionen. Die Grünen können nicht mal sicher sein, drittstärkste Kraft zu werden. Das würde vermutlich ein Dreierbündnis erfordern. Welches wäre Ihnen denn am liebsten?

Der Reihe nach. Die Linke ist, zumindest in Schleswig-Holstein, ein Chaoshaufen, der Stalin hochleben lässt. Da gäbe es wenig zu besprechen. Die FDP würde sicher alles mitmachen, gerade deshalb ist ein Bündnis mit ihr ist das Gegenteil von erstrebenswert. Der SSW ist eine verlässliche Kraft mit einem sympathischen Profil.

Sie sitzen neben SSW-Parteichef Flemming Meyer im Kreistag von Schleswig-Flensburg, wohnen nicht weit voneinander kurz vor Dänemark, Ihre Kinder besuchen die dänische Schule …

So stellt sich also ein Hamburger das Landleben ganz hoch im Norden vor – sehr erhellend, danke. Also: Wir führen jedenfalls keine Koalitionsverhandlungen über den Gartenzaun. Aber der SSW ist eine respektable und ebenso wie die Grünen nach vorne gerichtete politische Kraft in Schleswig-Holstein.

Zumal er sein Beharren auf das skandinavische Modell – das Tolerieren einer Minderheitsregierung – aufgegeben hat. Jüngst erklärte der SSW erstmals, auch zu einer Regierungsbeteiligung bereit zu sein.

Das haben wir mit Interesse zur Kenntnis genommen.

Dann könnten sie sich doch eigentlich gemeinsam einen der beiden Großen aussuchen, der dann bei ihnen mitspielen darf.

Naja, ich bin ja gegen Automatismen, aber es ist ein sympathischer Gedanke. Warum nicht mal Koalitionsverhandlungen anders herum? Erst reden die Kleinen miteinander und dann kommen die Großen ins Spiel.

Und wer wird nach der Wahl Ministerpräsident von grünen Gnaden?

Ich habe mir meine Beziehungen noch nie nach den Schwiegervätern ausgesucht.

Fotohinweis:ROBERT HABECK, 39, Schriftsteller und grüner Parteichef in Schleswig-Holstein. Wie die Co-Vorsitzende Marlies Fritzen wurde er vor einer Woche auf einem Parteitag im Amt bestätigt.