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Archiv-Artikel

Seelenstriptease zu Lasten der Gesundheit

Britische Psychologen widerlegen die Lehrmeinung, dass das Schreiben eines Tagebuchs heilsam sei für das seelische Gleichgewicht

Schon Julius Cäsar hinterließ der Welt seine Aufzeichnungen zum Gallischen Krieg, und noch heute müssen sich tausende von Lateinschülern damit herumplagen. Doch um ein Tagebuch, wie es einige Lehrer behaupten, handelt es sich dabei noch nicht. War doch der römische Imperator nicht daran interessiert, Details seines Gefühlslebens zu offenbaren. Das kommt erst viel später. Nämlich mit den atemberaubenden „Bekenntnissen“ des französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau.

Seitdem gehört das Tagebuch zum festen Bestandteil der abendländischen Kultur. Wobei die „Diaristen“ vor allem jung und weiblichen Geschlechts sind. Laut Umfragen breitet etwa ein Drittel der Frauen im Alter von 15 bis 24 Jahren sein Innerstes auf Tagebuchseiten aus, bei den Männern derselben Altersgruppe ist es nur ein Zehntel.

Die Themen haben sich seit Rousseau nicht wesentlich geändert. Es geht um Liebe, Sexualität, Sehnsucht, Abgrenzung von den Eltern und um Selbstfindung und Selbstbehauptung unter Gleichaltrigen. Es geht darum, dass Olaf „mich wieder komplett ignoriert hat“, es geht um eigene ästhetische Mängel wie krumme Nase, kleine Brüste und schlaffen Bauch, oder es wird beklagt, dass die Eltern „unendlich abnerven“.

Und weil diese Probleme im Laufe eines Menschenlebens nun einmal an Dringlichkeit einbüßen, hören viele am Ende ihrer Twenjahre mit dem Tagebuchschreiben auf. Zumal Ehe und Beruf ohnehin meist keine Zeit mehr dazu lassen.

Schade eigentlich. So jedenfalls der Tenor der Psychologen in den letzten Jahren. Gilt das Tagebuchschreiben doch als eine Art Selbsttherapie und Ersatz für anstrengende Sitzungen auf der Couch. In den USA zählte die „Tagebuchtherapie“ zu den großen Psychotrends der Siebzigerjahre, und noch heute werden Kurse angeboten, in denen man lernt, sich seine Gefühle und Gedanken von der Seele zu schreiben – und das nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande als Teil des so genannten kreativen Schreibens.

Die Kursteilnehmer werden angeleitet, per Tagebuch ihren psychischen Ist-Zustand aufzuarbeiten oder sich, wie es Ira Progroff, der Erfinder der „Intensiv-Tagebuchtherapie“ verkündet, „dem Strom ihres Unbewussten“ zu nähern. Tagebuchschreiben mithin als Seelenstriptease, der zur heilenden Selbsterkenntnis führen soll.

Ob das allerdings wirklich funktioniert, erscheint zweifelhaft. Denn eine aktuelle englische Studie ergab, dass Tagebuchschreiber wesentlich häufiger unter Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Verdauungsproblemen leiden. „Wir haben erwartet, dass Tagebuchschreiber wenigstens einige Vorteile haben“, so Studienleiterin Elaine Duncan von der Glasgow Caledonian University. Offenbar sei es aber besser, wenn man nicht alles zu Papier bringe.

Die Forscher verglichen die Gesundheitswerte von 91 Diaristen mit denen von 41 Schreibmuffeln. Es zeigte sich, dass vor allem das Niederschreiben traumatischer Erlebnisse keineswegs „erlösend“ wirkt, sondern sogar die Entstehung psychosomatischer Probleme – besonders von Kopfschmerzen – begünstigt. Über die Ursachen dieses Phänomens kann Duncan allerdings nur spekulieren. Möglich, dass Tagebuchschreiben nicht wirklich ein einmaliges Ereignis ist, mit dem man Probleme abbaut. Vielmehr wühlen Tagebuchschreiber länger in ihren Missgeschicken als andere und kommen so nicht davon los.

Andererseits gesteht die Forscherin zu, dass man den von ihr ermittelten Zusammenhang auch anders deuten könne. Dass nämlich Menschen mit angegriffener Gesundheit mehr zum Tagebuchschreiben neigen als andere. „Wir konnten nicht zeigen, was zuerst da war – das Schreiben oder die Gesundheitsprobleme“, so Duncan.

JÖRG ZITTLAU