: berliner szenen Die Unsichtbaren
Gespräche im Dunkeln
Filmfestivals sind eine schöne, aber manchmal auch anstrengende Angelegenheit. Der visuelle overkill gerät schnell zum eigenen Film. Das wiederum macht das konzentrierte Hingucken umso schwerer. Insofern ein geradezu perfektes Erholungsprogramm, das sich die Veranstalter des derzeit stattfindenden Kurzfilmfestivals für einige ihrer Gäste und Mitarbeiter haben einfallen lassen: Essen in der unsicht-Bar, einem Dunkelrestaurant in Mitte.
Dunkel heißt in der unsicht-Bar tiefschwarz. Anders als in anderen abgedunkelten Räumen, in denen man nach einer Eingewöhnungsphase Umrisse oder die eigene Hand vor den Augen erkennt, ist man hier ohne den blinden Kellner, der einen in einer Art Mini-Polonaise zum Tisch bringt, auch Stunden später immer noch völlig aufgeschmissen, wenn es darum geht, das neu gebrachte Weinglas, den Weg nach draußen – oder zwischendurch mal das Klo – zu finden. Dafür ist man drin von allen performativen Zwängen befreit, die soziale Zusammenkünfte so mit sich bringen. Man stützt sich mit geschlossenen Augen ausladend ab oder hält sich ungeniert die kühle, feuchte Serviette an die Stirn. Bei den Gesprächsthemen der anderen redet man mit, weil man dazu grade etwas sagen möchte, und nicht, weil ein körpersprachliches Okay gegeben wurde.
Erstaunlich: Keines der Gespräche zwischen den Leuten, die vermutlich das Gesicht ihres Gegenübers, den sie im Vorraum nur kurz kennen gelernt hatten, schon vergessen haben, streift das Festival. Auch hier eine konsequente Befreiung von Selbstdarstellung. Dafür macht man ganz neue Entdeckungen: So ist es gar nicht so leicht, im Dunkeln festzustellen, wie betrunken man ist. STEPHANIE GRIMM