: Wir steigern das Bruttosozialprodukt
AUS MAPUTO FRANÇOIS MISSER
Als in Mosambik noch Krieg herrschte, war Höhepunkt des Luxus in der Hauptstadt Maputo die seltene Erinnerung an bessere Zeiten: Palmen am Strand, portugiesische Mosaikmuster auf dem Platz der Unabhängigkeit. Heute sind das nur mehr verstaubte Überbleibsel einer vergangenen Ära. Luxushotels wie VIP und Rotuma nehmen dem altehrwürdigen kolonialen Club Polana mit seinen schneeweißen Mauern, seinen Salons mit portugiesischen Seefahrerkarten an den Wänden und den Terrassen mit Blick auf den Indischen Ozean die Gäste weg.
Mosambik ist kaum wiederzuerkennen. In den 80er-Jahren war das Land Synonym für Afrikas Hoffnungslosigkeit, Schauplatz eines brutalen Bürgerkrieges mit Kindersoldaten und Millionen Flüchtlingen. Jetzt, zwölf Jahre nach dem Friedensschluss von 1992, ist Mosambik ein Symbol der neuen afrikanischen Hoffnung, mit Wirtschaftswachstumsraten von konstant über 8 Prozent. Früher herrschte in Mosambik eine bürokratische Hölle, Symbiose kolonialer Tradition mit marxistischer Schwerfälligkeit, wo man für jede Bewegung im Land Stempel und schriftliche Erlaubnis brauchte. Heute ist Mosambik ein Modell des Neoliberalismus nach Prägung von IWF und Weltbank, die stolz darauf verweisen, dass der Anteil der unter der absoluten Armutsgrenze lebenden Bevölkerung von 70 auf 54 Prozent gesunken ist. Die kommunistischen antikolonialen Befreiungshelden Eduardo Mondlane und Samora Machel leben nur noch im Museum der Revolution weiter.
In vielen afrikanischen Ländern, die aus einem Krieg herausfinden, ist der Wirtschaftsboom infolge des Wiederaufbaus von kurzer Dauer. In Mosambik scheint er nicht enden zu wollen, trotz häufiger Wirbelstürme und Überschwemmungen. Grund ist die schier endlose globale Nachfrage nach Rohstoffen, mit denen Mosambik nicht nur reich gesegnet ist, sondern für deren Ausbeutung es auch die optimalen Bedingungen bietet. Die diesjährigen Riesenprojekte sind die bisher größten: Eine Gaspipeline von den Offshore-Gasfeldern von Temane und Pande bis nach Südafrika, gebaut von der südafrikanischen Ölfirma Sasol für 1,2 Milliarden Dollar, wurde im Juni eingeweiht. Ein paar Monate früher hatte die südafrikanische Alusaf die riesige Aluminiumfabrik Mozal noch einmal in ihrer Kapazität verdoppelt, auf 506.000 Tonnen, mit Investitionen von 800 Millionen Dollar.
Mosambik hat das Glück, direkt neben Südafrika zu liegen, dessen Firmen dabei sind, Afrika zu entdecken. In Maputo sehen sie das Tor zum Rest des Kontinents. Die mosambikanische Hauptstadt ist voll von südafrikanischen Investoren, Händlern und auch Touristen – 650.000 dieses Jahr, noch viel mehr als früher, als die Apartheidherren sich zur Abwechslung gern an den portugiesischen Stränden des Indischen Ozeans sonnten. Die Wirtschaftsintegration beider Länder wird immer stärker: Eine Autobahn von Mosambik nach Südafrika ist im Bau, die alte Eisenbahnlinie wird wiederhergestellt. Der Hafen von Maputo beginnt, den südafrikanischen Häfen Durban und Port Elizabeth ernsthafte Konkurrenz zu machen. Die Nationalparks beider Länder an der gemeinsamen Grenze sind längst zu einem verschmolzen, ein grenzüberschreitendes Projekt des Naturschutzes, das Touristen aus aller Welt anlockt.
Aber nicht nur die Südafrikaner haben sich in Mosambik etabliert. In der zentralmosambikanischen Provinz Sofala mit der Hauptstadt Beira sucht die norwegische DNO nach Erdgas, im Delta das Sambesi-Flusses will nächstes Jahr die malaysische Petronas damit anfangen. Ein Gaskraftwerk als Joint Venture der mosambikanischen und südafrikanischen Elektrizitätsgesellschaften ist in Planung. Ab 2008 wird die australische Western Mining Company seltene Mineralien wie Ilmenit und Titandioxid aus dem Sand des Limpopo-Flusses graben. Und irgendwann wird vielleicht in der Provinz Tete wieder Kohle gefördert, und auch die Eisenbahnlinie aus Beira ins Landesinnere Richtung Simbabwe, früher einer der wichtigsten Transportwege des südlichen Afrika, kommt wieder zu alter Blüte. Dann expandiert vielleicht auch aus Brasilien die Stahlfirma Companhia do Valo do Rio Doce nach Mosambik.
Industrialisierung im Schnelldurchlauf – das ist der Traum der Mosambikaner. Sie haben ja schon mit dem Cahora-Bassa-Staudamm oberhalb von Tete am Sambesi-Fluss das theoretisch größte Wasserkraftwerk des südlichen Afrika, auf das auch schon Südafrika sein Auge wirft, weil dort die Stromversorgung an ihre Grenzen stößt. Zwar müsste noch eine Altlast geklärt werden: Portugal, die alte Kolonialmacht, hält an der Staudammbetreibergesellschaft HCB immer noch 82 Prozent. Portugal wäre im Prinzip bereit, diesen Anteil den Mosambikanern zu überlassen, aber dann müssten sie zuerst Altschulden von über zwei Milliarden Dollar zahlen, und das wiederum geht nur, wenn Strom nach Südafrika verkauft wird. Ein Teufelskreis. Egal: Man könnte ja noch einen anderen Staudamm bauen, weiter flussabwärts. Es sind ja nur Umweltschützer dagegen.
Und wenn das mit der Industrialisierung nichts wird, bleibt immer noch die Landwirtschaft. Die Zuckerernte steigt jedes Jahr, allein 2004 um 27 Prozent. Die American Universal Leaf Tobacco Company baut eine Tabakfabrik. Und immer mehr weiße Farmer aus dem benachbarten Simbabwe kommen nach Mosambik, auf der Flucht vor dem Regime von Robert Mugabe. Wintergemüse für Europa, Baumwolle – das sind die nächsten Märkte, die es zu erobern gilt. Anders als die Fischerei, wo die industriellen, komplett auf Export ausgerichteten Fangflotten die Meere vor Mosambiks Küsten bereits leer gefischt haben, ist die Landwirtschaft Mosambiks noch lange nicht an ihre natürlichen Grenzen gestoßen. Früher war Mosambik der arme Nachbar Simbabwes – heute dreht sich das Verhältnis allmählich um.
Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Die einzigen sichtbaren Grenzen scheinen die zu sein, die Mosambik sich selbst setzt. Korruption und eine schwerfällige Verwaltung gehören zum Alltag. Als der investigative Journalist Carlos Cardoso vor einigen Jahren aufdeckte, dass aus der führenden Bank des Landes 14 Millionen Dollar verschwunden waren, wurde er umgebracht. Es folgte ein spektakulärer Prozess, bei dem für den Mord Verbindungen bis hinauf zur Staatsspitze zur Sprache kamen und der Sohn des Präsidenten beschuldigt wurde, den Mord in Auftrag gegeben und bezahlt zu haben. Sechs Mörder wurden letztes Jahr verurteilt – aber im Mai entkam einer davon aus der Haft nach Kanada, während die meisten für die Veruntreuung Verurteilten auch schon wieder auf freiem Fuß sind.
Dass politisch Stabilität herrscht, ist angesichts solcher Vorfälle nicht unbedingt von Vorteil. Bei den kommenden Wahlen am 1. Dezember, den dritten freien Wahlen des Landes, ist der Sieg der regierenden exmarxistischen Exstaatspartei Frelimo (mosambikanische Befreiungsfront) jedoch sicher: Umfragen geben ihr um die 75 Prozent. Ihr Kandidat Armando Guebuza wird den bisherigen Staatschef Joaquim Chissano ablösen, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren darf; aber Chissano wird voraussichtlich Parteichef bleiben und damit ähnlich wie jahrelang Julius Nyerere in Tansania als eine Art Übervater mitregieren.
Die Opposition ist schwach: Die einstige Rebellenbewegung Renamo (Mosambikanischer Nationaler Widerstand), während des Bürgerkrieges wegen ihrer Kriegsverbrechen und Nähe zu Südafrikas Apartheidregime verrufen, kritisiert zwar die Korruption der Regierung, bietet aber keine glaubwürdige Alternative, und es gibt eine rivalisierende Oppositionskoalition. Von einem Ende Mosambiks zum anderen sind es über 2.000 Kilometer, weite Landesteile sind kaum erschlossen und werden in der Regenzeit abgeschnitten sein, und so dürfte das zumeist bäuerliche Renamo-Wahlvolk es schwer haben, überhaupt in die Nähe einer Wahlurne zu kommen.
Es ist also nicht alles rosig. Schließlich liegt auch nach zwölf Jahren Aufschwung das statistische Prokopfeinkommen erst bei 250 Dollar im Jahr. Im August schlossen sich Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Bauernverbände und religiöse Gemeinschaften in einem Bündnis G 20 zusammen, um zu einer größeren Beteiligung der Bevölkerung an den wirtschaftspolitischen Entscheidungen aufzurufen und die Armutsbekämpfung stärker zu thematisieren. Mosambiks Armut ist immer noch verheerend, und die Spuren des Krieges lassen sich nicht alle mit Investitionen in Rohstoffausbeutung beseitigen.
Der Kriegsversehrte, der an Maputos roten Ampeln über die Straßen robbt und an Autofenstern bettelt; die Straßenkinder, die auf dem Markt die Mülleimer durchwühlen und weggeworfene Konservendosen auslecken; der zerlumpte, verstaubte Mann, der zwischen den Joggern am Strand auf der Straße liegt – all diese Leute haben vom Boom noch nichts gehabt.
In der Nordostprovinz Nampula grassiert dieses Jahr nach Dürre und Missernte eine Hungersnot, und noch mehr Bauern machen sich auf den Weg in bessere Gefilde. So ziehen immer mehr mittellose Landflüchtige in die Hauptstadt, angelockt von den bunten Lichtern und modernen Hochhäusern, dem Schein südafrikanischen Wohlstands und dem Geruch der großen weiten Welt, die Rettung vor dem Elend verspricht. Wie lange hält das Modell Mosambik seine eigenen Widersprüche noch aus?