: Die Anwältin der Ausgebeuteten: Tina Jerman
Tina Jerman ist die neue Eine-Welt-Beauftragte des Landes. Die gebürtige Oberhausenerin und Kunsthistorikerin will schon Kinder mit auf die Reise der Globalisierung mitnehmen – und hofft auf nachhaltig lebende Erwachsene
Dass sie bedächtig, mit fast ein bisschen zu leiser Stimme spricht, bedeutet keineswegs, dass sie sich nicht durchsetzen kann. Denn das hat Tina Jerman als einziges Mädchen unter sechs Brüdern schon als Kind gelernt. Später kämpfte die heute 50-Jährige nicht nur für ihre eigenen, sondern auch für die Belange der Menschen in weniger begüterten Teilen der Welt. Seit kurzem tut sie das als Eine-Welt-Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen mit Büro im Düsseldorfer Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft, und Verbraucherschutz (MUNLV).
Begonnen hat die Liebe zu allem, was global und nachhaltig ist, bei der gebürtigen Oberhausenerin im Laufe ihres Studiums der Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Philosophie in Bochum. Das nämlich fand sie damals „elitär und zu wenig mit dem Leben verbunden.“ Die Konsequenz: Mit Gleichgesinnten gründete Tina Jerman ein Second-Hand-Kaufhaus mit dem Namen „Tu was“ in Neunkirchen-Vlyn, das es noch heute gibt. Die Idee dahinter: Deutlich zu machen, dass man mit dem Überfluss der Wegwerfgesellschaft Geld für gute Zwecke erwirtschaften kann. So wurden vom Verkaufserlös Entwicklungsprojekte in Brasilien unterstützt.
Nach der Fortsetzung ihres Studiums in Wien kehrte Jerman ins Ruhrgebiet zurück. Ende der 70er und in den früher 80er Jahren war sie für das Festivalbüro in Duisburg „Kleiner Mann, was tun?“ tätig und organisierte so genannte Themenkonzerte, zum Beispiel über die Lebenssituation der Sinti und Roma oder über Gewalt gegen Frauen. „Musikalisch-kulturelle Brennpunkt-Arbeit“ nennt Jerman das rückblickend. Zahlreiche ausländische Bands holte sie damals nach NRW, darunter auch „Ladysmith Black Mambazo“ aus Südafrika, die heute weltberühmt sind. Tina Jerman betreute außerdem politische Migranten aus Chile, Nicaragua und dem Spanien unter Franco und arbeitete für die EXILE-Kulturkoordination. Noch heute arbeitet sie halbtags für diese Koordinierungs- und Vermittlungsstelle für Kulturangebote, Musik, Theater und Lesungen aus Ländern des Südens mit Sitz in Essen – Eine-Welt-Arbeit ist leider immer noch nur ein Halbtagsjob.
Die Kultur soll jetzt auch bei ihrer Arbeit als Eine-Welt-Beauftragte eine wichtige Rolle spielen. Damit ist keineswegs nur ein bisschen Folklore gemeint. Der Eine-Welt-Beauftragten geht es darum, den umfassenden Kulturwandel deutlich zu machen, den Globalisierung und Internationalisierung nach sich ziehen – auch im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Immerhin kämen hier bereits 30 Prozent der Kinder im Alter von sieben Jahren aus Familien mit Migrationshintergrund, so Jerman. „Und das wirkt sich aus, auf Städtebau, Wohnungsbaupolitik, Arbeitsmarktpolitik und die demographische Entwicklung. Wir müssen dieser neuen Vielfalt im Lande gerecht werden.“
Als Eine-Welt-Beauftragte sieht sich Tina Jerman in der Rolle der Lobbyistin und Anwältin für alle Gruppen, die im Land entwicklungspolitische Arbeit betreiben. Gruppen etwa, die den Fairen Handel publik machen, in Weltläden mitarbeiten oder Partnerschaftsprojekte in Afrika, Asien oder Lateinamerika unterhalten. Dabei allerdings muss Jerman, wie schon ihr Vorgänger im Amt, gegen die Widerstände aus den Reihen der Oppositionsparteien im Landtag kämpfen. Die nämlich halten das Eine-Welt-Modell Nordrhein-Westfalens für Geldverschwendung. Anstatt entwicklungspolitische Arbeit von Gruppen hierzulande zu finanzieren, sei es doch viel besser, diese Gelder direkt zur Armutsbekämpfung in den Süden zu schicken, heißt es bei der FDP und in Teilen der CDU.
Doch nach Ansicht Jermans braucht nachhaltige Entwicklung weltweit beides: Projektarbeit im Süden, aber auch Aufklärung in Sachen Eine-Welt hierzulande. Wichtig sei es, Kinder und Jugendliche „auf der Reise in die Globalisierung“ mitzunehmen. Sonst können sie später als Erwachsene auch keine nachhaltigen Entscheidungen treffen.“ Gerne würde Jerman noch mehr Menschen im Land dazu bewegen, sich am internationalem Austausch zu beteiligen. „Weil man dabei lernen kann. Und weil es ganz viel Spaß macht.“
MONIKA HOEGEN