Feuerspucken schafft Vertrauen

Vor 350 Zuschauern im Zirkuszelt liefen gestern Kinder „aus schwierigen Verhältnissen“ über Scherben und legten sich auf Nagelbretter. Die Organisatoren setzen auf einen pädogischen Effekt

Viele Kinder standen zum ersten Mal mit etwas Positivem im Vordergrund

AUS OBERHAUSEN NATALIE WIESMANN

Mitten in der Manege des kleinen Zirkuszeltes im Oberhausener OLGA-Park steht ein großer herrenloser Koffer. Eine Clownin öffnet ihn neugierig, findet dort eine lebendige Marionette, mit der sie anfängt herumzuspielen. Als sich die Puppe im Ballerinakleidchen von den Fäden befreit und der Clownin eine lange Nase zeigt, lachen die Kinder im Publikum laut auf. Sie merken nicht, dass das Herz derAmateur-Darstellerinnen „ganz laut schlägt“, wie Clownin Sabrina Flemming aus Bottrop nach der Vorstellung erzählt.

Sie und die anderen 80 Akteure im Alter zwischen fünf und 18 Jahren haben unruhige Zeiten hinter sich: Sie kommen aus problematischen Familien, das Jugendamt entzog ihren Eltern das Erziehungsrecht. Die Erziehungsstelle „Löwenzahn“ aus Oberhausen vermittelt die Kinder aus dem gesamten Ruhrgebiet an Pflegeeltern mit pädagogischer Ausbildung. Als „Nachbetreuung“ organisiert Löwenzahn auch Freizeitprojekte wie die Zirkus-Aktion.

„Die Vorstellung verlief ohne größere Pannen“, sagt Gregor Brodowski von Löwenzahn. Er sei erstaunt, wieviel Verantwortungsgefühl die Kinder entwickelt hätten – auch schon bei den Proben. Alle hätten immer gewusst, wo ihre Kostüme sind und wann sie in die Manege treten müssen. „Das ist nicht so selbstverständlich bei Kindern, die aus Verhältnissen kommen, wo die Eltern ihre Verantwortungsrolle nicht wahr nehmen.“ Für akrobatische Kunststücke wie einer Pyramide bedürfe es einer Menge Disziplin, sagt Brodowski. Das gelte auch für die jungen Jongleure sowie für die Fakire, die über Glasscherben laufen oder sich auf Nagelbretter legen.

Ronja Groh aus Mülheim hatte unter anderem mit Feuerspucken ihren großen Auftritt. Angst vor dem Feuer kennt sie nicht. „Die Flamme tut nur oben weh, unten kommt kein Sauerstoff dran“, sagt die 13-Jährige mit wissenschaftlicher Miene. Jennifer Möller aus Oberhausen (12 Jahre) erzählt von ihrer Pferdenummer, bei dem das Tier anfangs gebuckelt hat. „Die hören nur auf bestimmte Wörter“, erzählt sie. Die ließen sich jedoch einüben. Und wenn mal etwas nicht klappen würde, fände sie das nicht schlimm. „Es soll uns ja auch Spaß machen“, sagt sie.

Ganz nebenbei stärke das Projekt das Selbstbewusstsein der kleinen Künstler, sagt Löwenzahn-Mitarbeiterin Sabine Knappheide. „Kleine Selbstdarsteller, die sich sonst mit negativen Dingen in den Vordergrund drängen, bekommen in der Manege für etwas Positives Applaus.“ Bei einem Vorgängerprojekt hätte man die Auswirkungen auf den Alltag bereits feststellen können, sagt sie: In der Schule trauten sich jetzt viele Teilnehmer, vor der Klasse etwas vorzutragen, hätten ihre Lehrer berichtet.

Prominent betreut wurde die Pantomime-Gruppe: Milan Sladek, weltbekannter Pantomime, hat einige der Jugendlichen in die Welt des stummen Theaters eingeführt. Teilnehmer, die Schwierigkeiten haben, sich zu öffnen, seien aufgeblüht, freut sich Sladek. „In der Pantomime können sie ihre Fantasie und ihre Emotionalität ausleben.“ Ein Beispiel dafür sei der 17-jährige Stefan Lehnert, der seit fünf Jahren in einer neuen Familie lebt. Stefan hatte zwar Spaß an seinem Auftritt, kann sich aber nicht mehr erinnern, ob das Publikum gelacht hat. „Ich war zu aufgeregt, um das zu hören.“