: Bankenskandal macht Geschichte
Vor 75 Jahren wurde der erste Untersuchungsausschuss wegen Korruption in der Berliner Verwaltung eingesetzt. Die Historikerin Cordula Ludwig über den Sklarek-Skandal und seine Folgen bis heute
Interview UWE RADA
taz: Frau Ludwig, glauben Sie, dass der Regierende Bürgermeister den Namen Sklarek kennt?
Cordula Ludwig: Das weiß ich nicht, aber vielleicht kennt er ja den Namen Gustav Böß.
Zumindest die Gustav-Böß-Straße am Roten Rathaus wird er kennen.
Als die eingeweiht wurde, gab es die ein oder andere Sonntagsrede auf den ersten Oberbürgermeister von Großberlin. Die Schattenseite seiner Regentschaft wurden kaum erwähnt.
Und die sind unmittelbar mit dem Namen Sklarek verknüpft. Was hat man sich unter dem 1929 in den Medien wochenlang verfolgten Sklarek-Skandal vorzustellen?
Die Brüder Sklarek waren Textilkaufleute, die vor allem die Stadt Berlin beliefert hatten. Das geht auf eine Besonderheit der damaligen Zeit zurück, der zufolge sich gering verdienende Beamte bei den Sklareks mit Kleidungsstücken eindecken konnten. Der Skandal kochte dann hoch, als man feststellte, dass Belege gefälscht und Lieferungen falsch abgerechnet wurden – alles immer zu Gunsten der Sklareks und zu Lasten Berlins.
Und die Verbindung zu Oberbürgermeister Gustav Böß?
Gustav Böß hat für seine Frau bei den Sklareks eine Pelzjacke erstanden, zu einem sehr günstigen Preis. Er bekam die Jacke in einem Wertpaket von 4.950 Reichsmark eines Tages per Post geliefert. In der Sendung war aber nur eine Rechnung über 375 Reichsmark.
Ein klassischer Fall von Korruption also.
Ganz so einfach war es nicht. Die Rechnung war auch Böß suspekt, er ahnte, dass die Pelzjacke teurer sein musste. Er hat sich dann aus der Affäre gezogen, indem er einem Maler ein kleines Bild für 800 RM abkaufte und seinen beiden notleidenden Schwägerinnen je 100 RM gab – so glaubte er, seinem Gerechtigkeitsempfinden Genüge zu tun.
Etwas naiv, oder? Kam er damit durch?
Böß war ein Politiker, der sein eigenes Wertesystem hatte. Ein eindeutiges Urteil über ihn ist schwierig. Ein Beispiel: Nachdem er Max Liebermann die Berliner Ehrenbürgerschaft verliehen hatte, fuhr Böß hinaus nach Wannsee, um dem Maler die Urkunde zu erreichen. Böß trank Kaffee mit den Liebermanns, es war alles ganz wunderbar. Und dann nahm Böß beim Verabschieden einfach, ohne ein Wort zu sagen, ein Liebermann-Bild von der Wand und sagte: So, Herr Liebermann, jetzt hat die Stadt ja was für Sie getan, jetzt können Sie mal was für die Stadt tun.
Die Rechtsabteilung des Oberbürgermeisters wird geflucht haben.
Liebermann auch. Er hat kurz darauf eine Rechnung in Höhe von 8.000 Reichsmark ins Rote Rathaus geschickt. Böß war völlig konsterniert, ging zu seinem Stadtsyndikus und sagt: Jetzt schickt der mir eine Rechnung! Der Syndikus meinte nur: Die müssen wir zahlen. Aber so war dieser Gustav Böß. Er hat auch eine Stiftung „Licht und Sonne“ für bedürftige Kinder gegründet. Eingezahlt haben Berliner Unternehmer, denen Böß gesagt hat: Wenn ich euch eine Baugenehmigung gebe, dann es ist es zu eurem Vorteil, aber zum Nachteil der Berliner, denen wir Licht und Sonne wegnehmen. So musste auch Karstadt am Hermannplatz in die Stiftung einzahlen.
Im Fall Sklarek aber lagen die Dinge doch klar. Die Gewinne werden privatisiert, die Verluste sozialisisiert, und die verantwortlichen Politiker, sagen wir: entschädigt. Sehen Sie da Parallelen zum Skandal um die Bankgesellschaft Berlin?
Ja, ich sehe diese Parallelen. Die bestehen vor allem in der Grauzone, in der diese Dinge stattfinden. Man muss da immer sehr genau hinschauen. Im Fall der Brüder Sklarek war es so, dass sie die städtische und sehr defizitäre Kleiderbelieferungsgesellschaft KVG übernommen hatten. Die Sklareks kamen für die öffentliche Hand also wie gerufen. Jenseits der Verträge wurden ihnen signalisiert, dass man das mit dem Defizit schon irgendwie regeln könne. Daraus mag sich ergeben haben, dass die Sklareks ihren Spielraum immer mehr erweitern konnten.
Wer wären die Brüder Sklarek in der heutigen Bankaffäre.
Wenn man sie nur so eindeutig identifizieren könnte. Wir haben viele Hauptverdächtige, auch solche, die sich mit uns im Untersuchungsausschuss nicht unterhalten wollen, weil sie sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Herr Decken gehört dazu, Herr Zeelen, Herr Schoeps.
Und wer wäre der Gustav Böß von heute?
Schwierig. Ich glaube Böß steht für die zentrale Frage, die Politiker in dieser Grauzone zwischen Verwaltung, Politik und Wirtschaft betrifft: Wie weit können sie gehen? Wie weit schaffen sie sich – und da sind wir wieder bei der Bankgesellschaft – ein eigenes Machtzentrum? Das wirft auch die andere wichtige Frage auf: Wo sind die Kontrollinstanzen, die solches verhindern?
Wie ist der Sklarek-Skandal ausgegegangen?
Für die Brüder Sklarek und den Oberbürgermeister nicht sehr gut. Wir befinden uns im September 1929. Berlin ist pleite. Gustav Böß startet gerade zu einer Dienstreise nach Amerika, samt Frau und der Pelzjacke. Genau zu dem Zeitpunkt, als die Berliner in Bremerhaven ablegen, finden in Sachen Sklarek die ersten Untersuchungen statt. Der Skandal wird zum Politikum. Bald schon werden die Sklareks verhaftet, nur bei Gustav Böß in New York kommen die Meldungen aus Berlin sehr spärlich an. Das Ganze eskaliert also in seiner Abwesenheit. Bald wird die Rechnung mit der Pelzjacke gefunden. Die Stimmung in der Stadt kocht, auch der Skandal um die Grundstücksankäufe am Alexanderplatz war an die Öffentlichkeit gekommen. Damals wurde das Alexanderhaus gebaut, in dem heute die Bankgesellschaft sitzt. Böß wird bei seiner Rückkehr am Bahnhof Zoo von einer wütenden Menschenmenge empfangen. Zwar gibt er die Pelzjacke umgehend zurück, aber es hilft nichts. Er wird suspendiert und muss zurücktreten. Es wird ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, es gibt ein Verfahren gegen Böß, das von den Nazis nochmal aufgerollt wird. 1934 wird er aus der Haft entlassen und geht nach Bayern.
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss war ja im Zusammenhang mit der Korruption in der Verwaltung neu. Warum hat man vor 75 Jahren zu diesem Mittel gegriffen?
Der Ausschuss, der im Oktober 1929 eingesetzt wurde, hieß: Ausschuss zur Klärung der Misswirtschaft in der Berliner Stadtverwaltung. Es war also ein ganzer Komplex, der da verhandelt wurde, von dem Sklarek nur ein Teil war. Er ging aber noch viel weiter. Thema war auch, inwieweit die Aufsichtsbehörden ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt haben. Das war neu.
Heute ist im Untersuchungsausschuss Bankenskandal auch wieder vom Versagen der Aufsichtsbehörden die Rede. Nichts dazugelernt?
Das Ergebnis des damaligen Ausschusses lautete tatsächlich: Schwerwiegende Kontrollmängel bei der damaligen Stadtbank, Verletzung der Aufsichtspflicht bei den politischen Gremien, keine Transparenz. Also das, was wir auch alles, ohne dem jetzt vorgreifen zu wollen, in unseren Untersuchungsbericht schreiben werden.
Hat es Sie gewundert, dass bei der Einweihung der Gustav-Böß-Straße kein Wort zum damaligen Skandal fiel?
Ja. Diese Ambivalenz seiner Politik und diese Grauzone des Handelns gibt es immer noch. Denken Sie nur daran, dass der ehemalige Fraktionschef der CDU jahrelang gleichzeitig Chef jener Bank sein konnte, die den Bankenskandal ausgelöst hatte.