: Nur die Spitze des Giftberges
Nach dem neuen Fall illegalen Pestizidhandels kritisieren Umweltschützer laxe Kontrollen der hochgiftigen Stoffe
BERLIN taz ■ Der jüngste Skandal um den Handel mit illegalen Ackergiften ist kein Einzelfall. „Die Behörden finden immer wieder Rückstände von nicht zugelassenen Pestiziden in Lebensmitteln“, sagt Chemieexperte Manfred Krautter von der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Jährlich seien 10 bis 15 Prozent Obst und Gemüse aus Deutschland mit verbotenen Pflanzenschutzmitteln belastet. „Das bedeutet: Viele Bauern verspritzen weiterhin illegale und hochgefährliche Pestizide.“
Von diesen oft sehr billigen Mitteln geht eine besonders große Gefahr für Mensch und Umwelt aus. Zum Beispiel von den Insektentötern Endosulfan und Lindan: Sie sind noch giftiger als die meisten zugelassenen Mittel. So steht Lindan im Verdacht, Nervenschädigungen, multiple Sklerose, Parkinson und auch Krebs auslösen zu können. Zudem werden die Mittel im Boden oder in Lebewesen nicht abgebaut, sondern reichern sich an.
Mit solchen Insektiziden handelte laut Spiegel auch der Hamburger Kaufmann Jost P., gegen den nun die Staatsanwaltschaft ermittelt. Insgesamt werden ihm 100 Tonnen Chemikalien zugerechnet. Die Behörden hatten am Freitag erklärt, dass sie beim bislang größten Schlag gegen den Handel mit illegalen Pflanzenschutzmitteln mehrere Tonnen beschlagnahmt hätten. Über P. sollen die Pestizide an mehr als 200 Betriebe gelangt sein.
Offenbar sind solche Chemiekeulen also immer noch leicht erhältlich. Dabei hatten Greenpeace-Mitarbeiter schon 2006 auf das Problem hingewiesen. Sie hatten sich als potenzielle Käufer ausgegeben und so fünfzehn Händler gefunden, die nicht zugelassene Mittel anboten. „Seither hat sich nichts geändert“, klagt Krautter.
Im Hamburger Fall haben die Behörden nach eigenen Angaben zwar nur Hinweise darauf, dass die verbotenen Pestizide für Weihnachtsbäume oder andere Nichtlebensmittel verwendet wurden. Für Susanne Smolka vom Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN) ist das jedoch kein Grund zur Entwarnung. „Die Mittel könnten abgewaschen worden und in den Boden oder sogar ins Grundwasser gelangt sein“, sagt die Chemikalienexpertin. „Die Pestizide sind auf jeden Fall ein Problem für die Leute, die sie angewendet haben.“
Auch Greenpeace-Experte Krautter bleibt misstrauisch. „Die Behörden wissen doch noch nicht einmal, wohin genau die Stoffe verkauft wurden.“ Wie könnten sie dann behaupten, dass die Pestizide nicht auf Pflanzen für die Lebensmittelproduktion gespritzt worden seien? Besonders enttäuscht ist Krautter vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Die Beamten bekommen zwar jedes Jahr von den Ländern ausführliche Ergebnisse von Pestizidtests in Lebensmitteln, doch das BVL stellt die Daten laut Krautter nicht so zusammen, dass sich erkennen lässt, wie viel verbotene Pestizide in Obst und Gemüse gefunden wurden. „Das machen dann wir von Greenpeace“, berichtet der Experte. Auf Anfrage der taz erklärt das BVL, dass es die Daten „bald“ veröffentlichen „kann“.
Dennoch fordert Krautter von den Ämtern mehr Engagement. „Sie müssten auch mit verdeckten Bestellern arbeiten, so wie wir das getan haben.“
Smolka verlangt, dass die Behörden sämtliche Firmen nennen, die verbotene Mittel benutzt haben: „Die Verbraucher haben ein Recht darauf, zu erfahren, welche Weihnachtsbäume oder andere Waren kontaminiert wurden.“ Diese Forderung hat das vom aktuellen Fall betroffene Nordrhein-Westfalen schon abgelehnt. „Niemand wurde gefährdet“, begründet der Sprecher des Umweltministeriums, Wilhelm Deitermann. JOST MAURIN