: Schlankheitskur für Österreichs Verfassung
Das Grundgesetz ist bisher in 1.300 verschiedenen Gesetzen versteckt, selbst Staatsrechtler blicken nicht mehr durch. Bis Jahresende soll ein 70-köpfiger Konvent einen neuen Entwurf vorlegen, derzeit wird aber nur freundlich diskutiert
WIEN taz ■ Schlanksein ist in. Das betrifft auch Gegenstände, die auf den ersten Blick wenig sexy wirken, so wie Österreichs Bundesverfassung. „Schlanker, systematischer und übersichtlicher“ solle sie werden, versprach unlängst Franz Fiedler, der Präsident des Mitte letzten Jahres eingerichteten Österreich-Konvents. Die Versammlung soll bis Jahresende das von 1920 stammende Grundgesetz nicht nur modernisieren, sondern durch einen völlig neu gestalteten Entwurf ersetzen.
Am Montag vergangener Woche begann der Endspurt mit den Berichten aus den Ausschüssen, deren „hervorragende Arbeit“ Fiedler lobte. Die Reform ist schon deshalb überfällig, weil selbst Verfassungsrechtler die in rund 1.300 verschiedenen Gesetzen versteckten Verfassungsbestimmungen nicht mehr überblicken können.
Dieser Wildwuchs entstand teilweise durch eine Unart der mit einer Zweidrittelmehrheit ausgestatteten großen Koalition von SPÖ und ÖVP. Sie erhob verfassungswidrige Gesetzesvorhaben in den Verfassungsrang. Skurrilitäten wie eine Verfassungsbestimmung über die Düngemittelförderung oder die Wiener Taxikonzession sollen nicht mehr möglich sein.
Die neue Verfassung soll aber daneben die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern neu verteilen und einen umfassenden Grundrechtskatalog bekommen, der auch die sozialen Rechte beinhaltet. Das Recht auf Leben impliziert ein Euthanasieverbot. Festgeschrieben wird auch ein Recht auf Bildung und Weiterbildung. Der freie Zugang zur Universität und damit die Abschaffung der Studiengebühren waren nicht konsensfähig.
Vor allem die Grünen, die im Konvent mit vier Frauen vertreten sind, haben höhere Ansprüche an die menschenrechtlichen Grundsätze. So wünschen sie etwa die positive Diskriminierung von Frauen, älteren Menschen und Behinderten. Vizeparteichefin Eva Glawischnig vergleicht die Diskussion um die Grundrechte mit einer Besteigung des Großglockners: „Die Überhänge und Kletterstücke sind noch zu bewältigen.“ Sie glaubt nicht, dass bis Silvester der große Wurf gelingen kann, denn im Konvent wird nur freundlich diskutiert.
Politische Verhandlungen der Parteien haben noch nicht begonnen. Zum Teil verlaufen die Fronten quer durch die Parteien, etwa in der Frage der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Da stehen in manchen Fragen die Ländervertreter von ÖVP, SPÖ und FPÖ gegen den Bund und die eigene Parteilinie. Peter Bußjäger aus Vorarlberg, Vorsitzender des zuständigen Ausschusses, sagt, die Bereitschaft der Länder, Kompetenzen abzugeben, vor allem in wirtschaftsnahen Angelegenheiten, sei gering. Etwa im Baurecht. Der derzeit diskutierte Vorschlag seines Ausschusses sieht die Schaffung eines dritten Bereiches vor, nämlich gemeinsame Bund-Länder-Zuständigkeiten.
Ein wichtiges Anliegen ist ihm auch die Aufwertung des Bundesrates, also der Länderkammer im Parlament, die „verglichen mit dem deutschen Pendant ein Fliegengewicht ist“. Derzeit stimmen die Abgeordneten dort nach Parteilinie ab, die Länderinteressen würden kaum berücksichtigt. Bußjäger denkt an ein imperatives Mandat, das der jeweilige Landtag in manchen Fragen beschließen könnte.
Revolution ist nicht zu erwarten. Es finden nur jene Neuerungen Eingang in den Entwurf, über die ein Konsens erzielt wird. So wurde die grüne Forderung nach der Aufwertung der partizipativen Demokratie kaum aufgegriffen. Die von ihnen gewünschte Transparenz und Aufhebung der Amtsverschwiegenheit ist nur gegenüber dem Parlament, nicht gegenüber dem Bürger vorgesehen. Die alte Forderung der kleinen Parteien, wonach parlamentarische Untersuchungsausschüsse von einer Minderheitsfraktion durchgesetzt werden können, hat keine Chance. Das gehöre in die Geschäftsordnung des Nationalrats, wehrt die ÖVP ab.
Die neue Verfassung wird ein Kompromisspapier und wohl auch ein Produkt der politischen Konjunktur. So soll die Neutralität, bisher nur im Neutralitätsgesetz von 1955 geregelt, in der Verfassung verankert werden. Das ist dem Umschwenken der ÖVP zu verdanken. Hatte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel die Neutralität vor drei Jahren noch als „alte Schablone“ bezeichnet, so verteidigte er sie jetzt plötzlich. Es naht der nächste Wahlkampf. RALF LEONHARD