: Antisemitismus ohne Antisemiten
Die CDU in Fulda fühlt sich „verwaist“: Warum hat Parteichefin Merkel nicht wenigstens angerufen, bevor sie den Fuldaer Abgeordneten Martin Hohmann aus der Fraktion ausschließt? Die SPD kämpft derweil um Zeilen in der Lokalpresse
aus Fulda ULRIKE WINKELMANN
Man muss in der neuen Szenekneipe „Havanna“ nicht lange warten, bis jemand eine Meinung zu Herrn Hohmann hat. Bernd zum Beispiel ist 32, selbstständiger Bauunternehmer, kommt aus einem Ort nah bei Fulda und beugt sich vor: „Unsere Generation hat doch nichts mehr mit den Nazis zu tun, und unsere Eltern auch nicht. Die Deutschen müssen endlich aufhören, an die Juden zu zahlen. Bei alldem geht’s doch immer nur um Geld. Hohmann hat einfach die Wahrheit gesagt. Aber man darf in Deutschland eben keine Meinung haben.“
Nun hat der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann aus Fulda in letzter Zeit überhaupt nicht über Entschädigungszahlungen gesprochen, sondern darüber nachgedacht, ob Juden ein „Tätervolk“ sind. Auch darf Hohmann seit Jahren Meinungen haben – gegen Schwule, gegen Ausländer, gegen Schmarotzer, gegen alles mögliche. Und dafür wurde er noch nie bestraft, im Gegenteil: Er wurde zweimal mit absoluten Mehrheiten an Direktstimmen in den Bundestag geschickt. Aber es geht hier im „Havanna“ bei spanisch-kubanischer Fantasieküche gerade nicht um Details, auch wenn das erste Bier noch gar nicht angeschlürft ist.
Das „Havanna“ ist in der alten Hauptwache, und die ist wie das Schloss, der Dom und die Palais ringsum im schweren Barock erbaut. Damals, im 18. Jahrhundert, gehörte die Stadt der katholischen Kirche, es regierten Fürstäbte. Seither ist Fulda ein katholisches Bollwerk gegen die Protestanten. Keine Stadt in Hessen ist schwärzer, in keiner Stadt hat die CDU mehr Macht.
Zwar reden die Fuldaer CDU-Honoratioren gegenwärtig nicht mit der Presse. Nur Oberbürgermeister Gerhard Möller, seit August im Amt, hat sich Worte sorgfältig zurechtgelegt: „Es sind viele Gefühle verletzt. Es entstehen hier Ohnmachtsgefühle und der Eindruck, dass es ein Schweigegebot gibt. Die Leute verstehen die Kehrtwende nicht, die Frau Merkel genommen hat – erst Bewährung für Hohmann, dann plötzlich Ausschluss.“ Merkel hätte vorher mindestens beim Kreisvorsitzenden Fritz Kramer anrufen müssen. Möller sagt, „jetzt haben wir in Fulda eine verwaiste Situation“.
Denn Fritz Kramer schweigt. Um ihn dreht sich vieles in Fulda. „Alles hängt davon ab, dass Kramer endlich redet“, sagt etwa der Vorsitzende der SPD-Kreistagsfraktion Günter Strelitz. „Kramer muss sich von Hohmann distanzieren, um Schaden vom Ruf der Region abzuwenden.“ Die SPD tut, als sei ihre einzige Sorge, dass die Republik Fulda nun für ein braunes Nest halten könnte, und verhandelt täglich mit dem örtlichen Pressemonopol Fuldaer Zeitung, um ausgiebiger zitiert zu werden. Man sieht die erste Gelegenheit seit Jahren, den örtlichen CDU-Übervater vor sich herzutreiben. Schließlich hat Kramer 1998 dafür gesorgt, dass Hohmann für den Bundestag aufgestellt wurde. „Kramer möchte den rechten Rand bedienen und bedient sich dazu eines Hohmann“, sagt der Vorsitzende des SPD-Stadtverbands Bernhard Lindner, von allen nur „BL“ genannt. Wie die meisten SPD-Vorderen ist Lindner Lehrer, er hat einen silberweißen Vollbart und die Angewohnheit, nach jedem Satz kurz zu lächeln, so dass man immer sofort zurücklächeln muss.
BL hat Hohmanns Rede genau gelesen und festgestellt, dass der Teil mit den Juden und dem Bolschewismus „angenommenes Gedankengut“ ist, „das er von diesem Arbeitskreis Konservativer Christen haben muss“. Das ist der Kreis von hessischen Hohmann-Freunden, dessen Internetauftritt nun nicht mehr verfügbar ist, der aber der deutschnationalen Sache immer verpflichtet war. Lindner kann nicht erklären, warum Hohmann so überwältigende Zustimmung genießt. Zwar seien „katholische Kirche und CDU hier deckungsgleich“. Aber man sei nicht antisemitischer oder sonstwie „rabiater“. Fuldaer hätten nichts gegen Juden. Doch „Antisemitismus“, sagt er, „ist Glatteis. Wer sich darauf begibt, der fällt um.“
Dazu runzeln die Fuldaer Grünen die Augenbrauen. Wer in Fulda aufwächst, sagt Bernd Eckart, Vorstand des Kreisverbands, lerne, „dass die Juden Jesus ans Kreuz geschlagen haben“. Minderheiten werde es nicht leicht gemacht: „Noch nach dem Krieg wurden Protestanten heftig angefeindet, in den 80er-Jahren dann wir Grünen.“ Mittlerweile sind die Grünen akzeptiert – ihr Bürgermeisterkandidat ist Chef des Kneipenkollektivs „Kreuz“, betreibt die erfolgreichsten Cafés und Kneipen in Fulda und hat bei den Wahlen im Sommer gegen Möller und BL beachtliche acht Prozent geholt.
Es ist gemütlich hier, in Fulda, zwischen den Barock- und Fachwerkfassaden. Nur begreift gerade außerhalb der Parteibüros niemand, was an Hohmanns Rede falsch gewesen sein könnte. In dieser hübschen Stadt wird man Hohmann schon bald als Märtyrer feiern.