: Nie mehr dieses Kita-Chaos
Das Volksbegehren „Mehr Zeit für Kinder“ würde bei Erfolg die Lage der Hamburger Eltern deutlich verbessern. SPD-Trio Thomas Böwer, Olaf Scholz und Walter Zuckerer verspricht in Zusatzerklärung auch Absicherung von sozial Schwachen
von KAIJA KUTTER
Der Zeitpunkt für das Volksbegehren könnte nicht passender sein. 3.000 berufstätige Eltern bekommen gerade in Hamburg keinen Kita-Platz, über 2.000 verlieren ihre Anschlussbewilligung, weil der Etat von Kita-Senator Rudolf Lange (FDP) nur noch Löcher hat. Wäre nun schon gültig, was die SPD „Gesetz zur Neuregelung der Hamburger Kindertagesbetreung“, kurz KibeG, nennt, hätten diese Eltern eine „Hamburger Garantie“ und müssten sich um Kita-Plätze für ihren Nachwuchs nicht sorgen.
Wörtlich heißt es in Paragraph 6, Absatz 2 des KibeG: „Ab dem 1. Januar 2006 hat jedes Kind vom ersten Lebensjahr bis zum vollendeten 14. Lebensjahr Anspruch auf Tagesbetreuung in dem zeitlichen Umfang, in dem seine Erziehungsberechtigten durch Berufstätigkeit, Ausbildung oder wegen der Teilnahme an Deutsch-Sprachkursen für Migrantinnen und Migranten die Betreuung nicht selbst übernehmen können.“ Dies ist das Herzstück des Volksbegehrens, für das die SPD-Basis und engagierte Eltern ab Montag sammeln gehen.
Sollte es gelingen, mindestens 60.375 gültige Unterschriften zusammen zu bekommen, stünde das KibeG bei der Europawahl am 13. Juni 2004 mit zur Abstimmung und könnte, bei einer Mindestbeteiligung von 220.000 Stimmen, per einfacher Mehrheit zum Gesetz erklärt werden, das ab August 2004 gültig wäre.
Etwas verwirrend ist der Nachsatz „Die Umsetzung dieses Rechtsanspruchs erfolgt schrittweise. Bis zu diesem Zeitpunkt wird Näheres durch Verordnung geregelt.“ Kritiker aus der Regierungskoalition hatten bereits geunkt, dies sei ein Finanzierungsvorbehalt. „Es wird den Rechtsanspruch für alle berufstätigen Eltern ab 2006 geben“, erklärt dagegen der SPD-Abgeordnete Thomas Böwer, der Erfinder des Volksbegehrens.
Das KibeG verspricht noch weitere Verbesserungen für Hamburgs Familien. So soll es analog zum Schulsystem eine Mitbestimmung auf Landesebene geben, damit Eltern endlich Einfluss auf die Kita-Politik nehmen können. Außerdem soll es die so genannte „fünfte Stunde“ geben. Demnach können alle Kinder zwischen drei und sechs Jahren unabhängig von Status ihrer Eltern täglich fünf statt bisher vier Stunden in die Kita gehen. Da dies ein warmes Essen einschließt, soll dies Kindern in sozialen Brennpunkten helfen.
Die warme Mahlzeit steht aber nicht im KibeG, ebenso wie eine Fülle weiterer „Präzisionen“, wie SPD-Geschäftsführer Thies Rabe die Zugeständnisse an Elterninitiativen nennt. So wurde Matthias Taube vom „FamilienPower“ zugesichert, ein „transparentes und soziales Elternbeitragssystem“ zu schaffen. Kostenlose Kitas verspricht die SPD nicht, wohl aber, dass der Anteil der Elternbeiträge am Kita-Etat von derzeit 18 auf 14,1 Prozent sinkt, wie es die OECD empfielt. Elternvereine, die das alte Beitragssystem stets kritisierten, sollen sagen, wie es besser geht. Ebenfalls Taube zugestanden ist ein „Resevierungssystem“ für Kita-Plätze, das verhindert, dass Eltern mit Gutschein bei der Platzsuche scheitern.
Noch weitere Zusagen machten Thomas Böwer, SPD-Fraktionschef Walter Zuckerer und SPD-Landeschef Olaf Scholz am 29. September dem Bündnis „Eltern für familiengerechte Betreuung“. In einer 13-Punkte-Erklärung, die SPD-Spitzenkandidat Thomas Mirow ebenfalls „unterstützt“, wie er gestern erklärte, konkretisieren die drei Politiker „Ziele“, die bei Regierungsübernahme „unmittelbar“ umgesetzt würden, aber nicht im KibeG, weil man das im Laufe des Volksgesetzgebungsverfahrens nicht umschreiben kann.
Das Elternbündnis hatte bemängelt, dass die SPD zu sehr den „Fokus auf Berufstätige“ legte. Beispielsweise ist die Frage der Sprachförderung im KibeG nicht näher geregelt. Dort heißt es lediglich unter Paragraph 6, Absatz 3, Kinder mit dringlichem sozialen oder pädagogischen Bedarf sollten in dem Umfang betreut werden, der sie „bestmöglich“ fördert. In der Zusatzerklärung heißt es nun, dass Kindern mit Migrationshintergrund die Kita ab dem 3. Geburtstag „uneingeschränkt“ offen stehe. Und Kinder von Sozialhilfeempfängern und Langzeitarbeitslosen sollen „mindestens sechs Stunden“ im Kindergarten bleiben dürfen, dies strebt die SPD jedenfalls „schnellstmöglich“ an. „Mittelfristig“ sollen gar alle Kinder auch noch eine sechste Stunde Mindestbetreuung erhalten. Dies aber, räumt die SPD ein, verlange eine „erkennbare Umverteilung von Mitteln zu Gunsten der Kindertagesbetreuung“.
Wieder ohne diese Fragezeichen sind die übrigen Zugeständnisse. So dürfen Kita-Leitungen eine „Empfehlung“ zur längeren Betreuung aussprechen, die die Jugendämter berücksichtigen sollen. Ganz wichtig für Mütter: Eltern, die auf Arbeitssuche sind, dürfen ihr Kind in die Krippe geben. Und Kinder, deren Eltern den Job verlieren oder ein Baby bekommen, dürfen mindestens zwölf Monate in ihrer Kita bleiben.
Die Zugeständnisse des SPD-Trios sind so umfassend, dass das Elternbündnis die Unterschriftensammlung nach Kräften unterstützt. Es gibt allerdings die Sorge, die Einlösung der Versprechen könnte am Wahlausgang oder am künftigen SPD-Koalitionspartner scheitern. Doch hier liegt wiederum der Charme des Volksbegehrens: Zumindest was im KibeG steht, kommt, egal wer regiert.