: Zuwachs an Arbeitsplätzen? Milchmädchenrechnung
130.000 mehr Menschen bauten 2003 Autos in Deutschland als zehn Jahre zuvor – behauptet die Autoindustrie. Sie will nicht als Jobkiller gelten
FRANKFURT/MAIN taz ■ Im Jahre 2003 seien in der Automobilbauindustrie in Deutschland rund 130.000 mehr Menschen beschäftigt gewesen als noch 1994. Das jedenfalls behauptet der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie in Deutschland (VDA), Bernd Gottschalk. Und auch im laufenden Geschäftsjahr könne die Branche am Ende des dritten Quartals ein Plus von etwa 3.000 auf knapp 800.000 Beschäftigte vermelden. Dieser aktuelle Zuwachs an Arbeitsplätzen, so räumte Gottschalk ein, sei allerdings fast ausschließlich dem „Boom bei den Nutzfahrzeugen“ geschuldet.
Gottschalk ist Lobbyist. Und der VDA meldet sich nicht grundlos während der laufenden Tarifverhandlungen bei der Volkswagen AG (VW) und der existenziellen Gespräche bei Opel (GM) zu Wort. Bei Opel in Rüsselsheim und Bochum sollen schließlich rund 10.000 Arbeitsplätze „abgebaut“ werden. Und bei VW vielleicht sogar bis zu 15.000. Die Branche gerät in Verruf. Und der VDA hält dagegen, auch präventiv mit dem Verweis auf die „hohen Arbeitskosten“ in Deutschland. Denn schon im nächsten Jahr dürfte die Bilanz des VDA nicht mehr so positiv aussehen. Da wird ein heftiges Minuswachstum bei den Arbeitsplätzen zu verzeichnen sein. So wie schon am Anfang der 90er-Jahre, der vom VDA ganz bewusst nicht mit in die Milchmädchenrechnung aufgenommen wurde. Bei Opel etwa wurden in den zehn Jahren vor 1994 – und da fängt der VDA erst an zu zählen – rund 15.000 Stellen gestrichen. Auch bei Ford wurde die Belegschaft „eingedampft“. Die fortschreitende Automatisierung machte viele Arbeitsplätze überflüssig. Eine Bilanz der letzten 15 oder 20 Jahre würde daher weit negativer ausfallen als die jetzt vom VDA vorgelegte über die vergangene Dekade.
Das sieht auch der Branchenkenner Ferdinand Dudenhöffer von der Fachhochschule Gelsenkirchen so. Er wirft den Automobilbauern in Deutschland zudem vor, in den letzten zehn Jahren weit weniger Arbeitsplätze geschaffen zu haben, als anderswo in der Welt zusätzlich entstanden seien: etwa in den USA mit plus 12 Prozent. Dagegen sei das Arbeitsplatzwachstum in der Branche hier mit nur 3 Prozent doch eher „mickrig“ ausgefallen. Vor allem „Managementfehler bei den Massenherstellern“, die zu latenten Absatzschwierigkeiten und – in der Folge – zum Abbau von Arbeitsplätzen geführt hätten, seien dafür verantwortlich, dass es trotz der Zuwachsraten etwa bei Mercedes, BMW oder auch Porsche nicht zu einer deutlicheren Zunahme bei den Beschäftigtenzahlen gekommen sei.
Eine ganz ähnliche Entwicklung prophezeit Dudenhöffer auch für die Zukunft. So habe Mercedes aktuell etwa in Rastatt knapp 2.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Die neue A-Klasse wird dort gefertigt. Und bald schon werde BMW sein neues Produktionswerk in Sachsen in Betrieb nehmen. Die Volumenhersteller würden dagegen noch weiter unter Druck geraten.
Die Personalkosten seien dabei aber „nicht das primäre Problem“, sagt etwa ein Analyst und Branchenkenner der Landesbank im prosperierenden Baden-Württemberg. Die Mittelkasse stecke in der Krise, und das in jeder Beziehung. Wer über genug Geld verfüge, kaufe sich eben gleich einen Porsche oder BMW. Und wer glaube, sparen zu müssen, der ordere inzwischen lieber einen billigen „Koreaner“ (plus 26 Prozent bei den Zulassungszahlen). Opel, Ford und VW und die Beschäftigten dort: Opfer der „Geiz ist geil“-Philosophie in Deutschland.
KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT