: „Das Kopftuch“ und kein Ende
betr.: „‚In dieser Gesellschaft gibt es einen massiven Antiislamismus‘, sagt Herr Schiffauer“, taz vom 6. 11. 03
Auf die Frage nach der Fairness gegenüber den Mädchen, die im Spagat zwischen ihrem konservativen Elternhaus und unserer Gesellschaft sich für das Kopftuch entscheiden und dafür kritisiert werden, antwortet Schiffauer unscharf und unvollständig. Im Klartext müsste es heißen:
Muslimische Mädchen und Frauen begegnen ihren tief dekolletierten, bauch- und rückenfreien Geschlechtsgenossinnen auf der Straße, im Bus, an der Arbeitsstelle, in der Schule. Sie registrieren die Titelblätter der so genannten „Arsch- und Tittenpresse“ und anderer Magazine, und sie wissen, wie private Fernsehsender Frauen in der Telefonsexwerbung und in den Sexclips tagtäglich einem Millionenpublikum als Ware vorführen. Es ist anzunehmen, dass man deshalb junge Musliminnen nicht darüber aufklären muss, welches Frauenbild hier vermittelt wird und zu welcher Generalisierung es führt. Sicher sind sie auch nicht so naiv zu glauben, dass der weibliche Exhibitionismus eine kulturelle Errungenschaft, ein Zeichen von Freiheit und Selbstbestimmung, gar Emanzipation sei. Ganz im Gegenteil. Und schließlich können auch sie erkennen, dass Frauen in unserer kapitalistischen Gesellschaft auf diversen Ebenen als Sexualobjekt vermarket werden.
Wenn also muslimische Mädchen und Frauen da nicht mitmachen wollen, sich nun ihrerseits auf ihre kulturelle und religiöse Identität besinnen und für das Kopftuch entscheiden, kann man das durchaus als eine Antwort auf „diesen Teil von Konsumkultur“ (Schiffauer), sprich, als Reaktionauf diese Unkultur sehen. Ihnen daraus einen Vorwurf zu machen, ihnen gar mangelnde Integrationsbereitschaft anzulasten, wäre unfair und unangebracht. Doch bei allem Verständnis für ihre Entscheidung: Verhüllung und Entblößung sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Hinter beiden stehen männliche Vorstellungen, wie Frauen zu sein haben: Heilige oder Hure. Beide Extreme sprechen dieselbe Sprache der Unfreiheit von und für Frauen. Dessen müssen sich junge Musliminnen bewusst sein, wenn sie das Kopftuch, das andere Extrem zu der Zur-Schau-Stellung, wählen. ELSE HEUSER, Marburg
Werner Schiffauerbetont seit Jahren, wie wichtig es sei, die positiven Aspekte der islamisch politischen Bewegungen zu würdigen. Gerade in Deutschland, dem Land der Täter, dürften die VertreterInnen der Mehrheitsgesellschaft nie vergessen, dass es gefährliche Ressentiments gegenüber den Fremden und damit auch den Muslimen gäbe. Daher hält man sich am besten mit jeglicher Kritik an muslimischen Funktionären, muslimischen Organisationen im In- und Ausland oder islamisch daherkommenden politischen Ideologien zurück. Kritik von Personen mit muslimischen Hintergrund ist noch weniger erwünscht. Ihnen wird eine generelle Ablehnung der Religion vorgeworfen. Der Trick dabei ist, die politische Bewegung des Islamismus mit der Religion gleichzusetzen.
Das vorliegende Interview macht deutlich, warum Schiffauer Wert darauf legt, potenzielle Gegenpositionen zu seiner Darstellung der islamischen Welt vorab zu diskreditieren. Seine Thesen: Das Vorpreschen des politischen Islam brauche nicht kritisch analysiert zu werden. Es handele sich hierbei um eine moderne Bewegung von Frauen, die sich von einer „bestimmten Gesellschaftsordnung emanzipieren wollten“ und die meinten: „Ich will diesen Teil von Konsumkultur, dieses hier herrschende Verhältnis zu Frauen nicht mitmachen.“ Lobenswert kapitalismuskritisch und feministisch zugleich. Wo hat man das heute noch außer im Islamismus? So weit könnte man über seine Position noch streiten und ihm zugute halten, dass er sich aus ethnologischer und nicht politologisch-historischer Sicht äußert.
Er geht aber weiter in seiner undifferenzierten, paternalistischen Parteinahme für „die Muslime“: Er beobachte, dass es „in dieser Gesellschaft einen ganz massiven Antiislamismus gibt, der den Antisemitismus abgelöst hat.“ Er setzt das Ausmaß des Antisemitismus und seine Funktion als konstituierendes Merkmal der deutschen Gesellschaft gleich mit einer angeblichen antimuslimischen Haltung. Ja, sieht den Antisemitismus durch ihn schon abgelöst. Zur Erinnerung: Mal waren es in jüngster Zeit jüdische Studenten und mal ein Rabbi, die auf offener Straße angegriffen wurden, es sind Synagogen, in die Brennsätze geworfen werden, es schwebt das Gespenst der jüdischen Weltfriedensstörer in vielen, auch angeblich linken Köpfen. Die Täter sind überproportional oft Islamisten. Schiffauer geht deshalb mit seiner islamistenfreundlichen Haltung endgültig zu weit.
SANEM KLEFF, Pädagogin, Berlin
betr.: „Ein Kopftuch integriert nicht“, Interview mit Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der EKD, taz vom 8. 11. 03
„Das Kopftuch“ und kein Ende: Auch wenn inzwischen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in diesem von Frau Ludin ausgetragenen Disput ergangen ist, scheint der Tenor dieses Urteils weithin ignoriert zu werden; denn danach ist es unabdingbar, wenn ein landesweites Verbot des Kopftuchtragens per Gesetz gewünscht wird, dass Christen, Muslime und Angehörige anderer Religionen in gleicher Weise behandelt werden. Daher geht es nicht an, die Diskussion darüber „differenziert“ zu führen (siehe hierzu die juristischen Bedenken, taz vom 30. 10. 2003, S. 7).
Warum das Kopftuch ein „antidemokratisches Zeichen“ sein soll, ist wohl allein Herrn Hubers Geheimnis, wobei er auch meint, dass es eine Haltung im Verhältnis der Geschlechter symbolisiere, die mit unserer Verfassung nicht vereinbar sei. Wenn jedoch das Tragen des Kopftuchs als verfassungswidrig anzusehen wäre, wäre das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sicher anders ausgefallen. Sollten im Übrigen nicht gerade Kirchenbeamte gegenüber anderen Religionen etwas mehr Toleranz aufbringen? Schließlich ist der Toleranzgedanke ja auch im Kanon der Schullehrpläne, zum Beispiel in Form von Lessings „Nathan der Weise“, verankert. Außerdem ist an England zu erinnern, wo Polizeibeamtinnen mit Kopftuch Dienst tun dürfen.
HELGA SCHNEIDER-LUDORF, Oberursel
Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor. Die erscheinenden Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen