Keine Erotik im Labor

Seit einem Jahr werkelt die schwarz-grüne Koalition in Hamburg weitgehend harmonisch vor sich hin. Als politisches Zukunftsmodell für Flächenländer oder den Bund taugt das kommunale Bündnis der gehobeneren Art aber kaum. Schwarz-Grün ist zu einer schlichten Regierungsoption geworden

24. Februar 2008: Bei der Bürgerschaftswahl verliert die CDU mit 42,6 Prozent ihre absolute Mehrheit. Die SPD legt auf 34,1 Prozent zu, die GAL sinkt auf 9,6 Prozent. Die Linke erreicht 6,4 Prozent, die FDP scheitert mit 4,8 Prozent an der Fünfprozenthürde. 25. Februar: Die CDU bietet der SPD und der GAL Sondierungsgespräche an. 6. März: Eine Mitgliederversammlung (MV) der GAL stimmt der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU zu. 17. März: Die Koalitionsverhandlungen beginnen. 17. April: Der Koalitionsvertrag wird im Rathaus unterzeichnet. 18. April: Der Vertrag wird auf einer Pressekonferenz im Rathaus offiziell vorgestellt und erläutert. 27. April: Eine GAL-MV stimmt dem Vertrag mit gut 80-prozentiger Mehrheit zu. 28. April: Ein CDU-Parteitag nickt den Vertrag ohne Debatte und ohne Gegenstimme ab. 7. Mai: Die Bürgerschaft wählt Ole von Beust zum dritten Mal nach 2001 und 2004 zum Ersten Bürgermeister und bestätigt den von ihm ernannten Senat. Das schwarz-grüne Experiment beginnt.  SMV

EINE ANALYSE VON SVEN-MICHAEL VEIT

Moorburg. Elbphilharmonie. HSH Nordbank. Im Schatten dieser politischen Desaster regiert eine bundesweit einmalige Koalition in Hamburg seit einem Jahr vor sich hin. So konfliktfrei und harmonisch arbeitet Schwarz-Grün, dass manche es bereits zum Vorbild erheben möchten für den Bund nach der Wahl im Herbst, mindestens aber für die Nachbarn in Schleswig-Holstein im Frühling nächsten Jahres. Bei dem Zustand der Großen Koalitionen in Berlin und Kiel ist die Sehnsucht nach solch geräuscharmem Regieren wie an der Elbe verständlich.

Dennoch hat das Bündnis aus CDU und Grün-Alternativer Liste (GAL), dessen Start vor einem Jahr mit einer Mischung aus Neugier und Ungläubigkeit betrachtet wurde, viel von seiner Exotik verloren, und sollte es je Erotik versprüht haben, ist die schon lange hin. Schwarz-Grün ist zu einer schlichten Regierungsoption geworden, und zumindest für Hamburg und zumindest in der Rückschau ist es keine schlechte. Eher ungewöhnlich ist, wie dieses Bündnis schwerwiegende Probleme gemeinsam löst oder zu lösen versucht; die Profilierungssucht auf Kosten des Partners, sonst in Koalitionen politischer Alltag, fehlt fast vollständig.

Das Kohlekraftwerk Moorburg mit so harten ökologischen Auflagen zu versehen, dass der Betreiberkonzern Vattenfall sich gemobbt fühlt, trägt das Bündnis ebenso gemeinsam wie die Schulreform, bei der CDU-Bürgermeister Ole von Beust sich ausdrücklich hinter seine grüne Stellvertreterin Christa Goetsch und gegen große Teile der eigenen Partei gestellt hatte. Ähnlich ist es bei den aktuellen Versuchen, die HSH Nordbank zu retten: Schwarz-Grün einigt sich und agiert geschlossen. Inhaltlich mag, wer will, die Entscheidungen im Einzelfall für fragwürdig oder auch falsch halten – den Umgang miteinander in dieser Koalition als unfair zu kritisieren, wäre hingegen unfair.

„Wir kommen gut miteinander aus, ohne dass inhaltliche Differenzen ausgeräumt wären“, lautete nach den ersten 100 Tagen die Bilanz von CDU-Innensenator Christoph Ahlhaus im taz-Interview. Die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag seien „die Geschäftsgrundlage“, stellte der Hardliner klar, „an Meinungsverschiedenheiten in einzelnen Fällen ändert das nichts“.

Interne Scharmützel

Und so gibt es einerseits interne Scharmützel über die Vertreibung von Bettlern und Obdachlosen aus der Innenstadt; andererseits werden in der Polizei speziell geschulte Anti-Konflikt-Teams eingesetzt, obwohl die Polizeiführung die für sinnlos hält und der Senator für zumindest überflüssig, die Arbeitsstellen „Bürgerrechte“ und „Interkulturelle Vielfalt“ folgen zurzeit. Denn deren Einrichtung wurde in den Koalitionsverhandlungen im vorigen Jahr beschlossen, und deshalb wird das umgesetzt. „Der Senator steht zum Koalitionsvertrag“, lobt die grüne Innenpolitikerin Antje Möller, die in der GAL als Restlinke gilt, den CDU-Rechtsaußen. Das gleiche sagen alle Beteiligten in Senat und Regierungsfraktionen übereinander.

Dass bei so viel Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung mitunter Unsinn geadelt wird, ist unbestritten. Getretener Quark wird breit, nicht stark, weiß der Volksmund. Und auch das bestätigt Schwarz-Grün. Das erfolgreiche CDU-Leitbild „Wachsende Stadt“ wurde nach sieben Jahren in das schwarz-grüne „Wachsen mit Weitsicht“ umformuliert – ein rundum misslungener PR-Gag.

Und dennoch ist es nicht der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Partei der Bürgerlichen und die Partei ihrer gut verdienenden Akademikerenkel geeinigt haben. Die grüne Bau- und Umweltsenatorin plant Autobahnen und Straßen, aber auch Radwege und die Stadtbahn, Shared Space und Umweltzone, und der grüne Justizsenator nimmt auf seinem Weg zu einem humanen Strafvollzug sämtliche Verschärfungen seiner CDU-Vorgänger zurück.

In den Unions-geführten Ressorts Soziales, Kultur oder Wissenschaft geschieht – abgesehen vom Finanzdesaster Elbphilharmonie, mit dem Schwarz-Grün zu kämpfen, dessen Ursachen aber der alte CDU-Senat zu verantworten hat – kaum etwas, was die gute Stimmung trüben könnte, und selbst die CDU-Wirtschaftsbehörde sendet friedliche Signale aus, sofern an den Planungen zur Ausbaggerung des Elbe nicht gerüttelt wird. Und da ist die Union in Niedersachsen, wenngleich aus polittaktischen Motiven, härterer Gegenspieler als die senatseigenen Grünen.

Verflogene Gemütlichkeit

Jedoch ist durch die aktuellen Debatten über das milliardenschwere und hochriskante Rettungspaket für die marode HSH Nordbank die Gemütlichkeit weitestgehend verflogen. Der arg angeschlagene Finanzsenator und CDU-Parteichef Michael Freytag ist der Loser in der Koalition. Wenn ihm im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der in zwei Wochen auf Antrag der rot-roten Opposition in der Bürgerschaft formell eingesetzt wird, Fehlverhalten oder gar Täuschungsmanöver nachgewiesen werden können, wird Freytag tief fallen. Grüne Absetzbewegungen sind schon zu erkennen, für das gemeinsame Ausbaden schwarzer Altlasten reicht die Liebe nicht.

Unterm Strich ist nach einem Jahr das schwarz-grüne Regierungslager in besserem Zustand als die rot-rote Opposition. Die müht sich zwar nach Kräften, nicht selten aber mit wenig Durchschlagskraft. Zwar wird die achtköpfige Fraktion der Partei Die Linke selbst von CDU-Rechtsauslegern schon lange nicht mehr als „SED-Nachfolger“ verunglimpft, zwar erhebt die SPD unter ihrem Fraktionschef Michael Neumann den Anspruch, durch Worte und Taten jederzeit ihre Bereitschaft und Fähigkeit zur Regierungsübernahme zu dokumentieren, gleichwohl vermag das oppositionelle Handeln nur sehr begrenzt zu beeindrucken.

Bei der Linken geht allenfalls eine Hälfte der achtköpfigen Fraktion als Aktivposten durch, die andere agiert, wohlwollend formuliert, unauffällig. Da die Neulinge Oppositionsarbeit vornehmlich als Nein-Sagen interpretieren, müssen sie sich jedoch auch nicht so krampfhaft wie die SPD den Anschein von Konstruktivität geben.

Die größere Oppositionspartei hingegen leidet bisweilen unter dem kakophonischen Gedröhne einiger ihrer Selbstdarsteller. Welche Schulpolitik die Fraktion verfolgt, gehört zu den Unerklärlichkeiten im politischen Universum, auf eine Wirtschaftspolitik verzichtet sie seit geraumer Zeit vollends, verkehrs-, umwelt- oder klimapolitisch hat sie nichts erkennbar Klügeres zu bieten, und den grünen Justizsenator lobt sie über den roten Klee. Bei der Inneren Sicherheit versucht die SPD schon seit dem Machtverlust 2001, die CDU noch rechts zu überholen – getreu dem sozialdemokratischen Glaubenssatz, mit Innenpolitik Wahlen zwar nicht gewinnen, aber krachend verlieren zu können. Einzig in der Sozial-, Arbeits-, Wohnungs- und Familienpolitik hat sie überzeugende Konzepte zu bieten – ein bisschen dürftig.

Erschwerend kommt hinzu, dass in der gegenwärtigen Rezession und angesichts versiegender Steuerquellen es geraten erscheint, finanzpolitisch den Mund nicht zu voll zu nehmen. Der schwarz-grüne Senat kann allenfalls für vermeintlich ideenlose Gegenmaßnahmen geprügelt werden. Und so polieren die 45 Sozis im Zweifel ihre vaterstädtische Gesinnung auf Hochglanz und reichen der Regierung in höchster Not die Hand, so wie vorige Woche bei ihrer Zustimmung zum Rettungspaket für die HSH Nordbank. Denn insgeheim begreift die SPD sich noch immer als die Hamburg-Partei, die nur darauf wartet, dass die Stadt sie wieder an die Macht ruft.

Eher tragische Gestalten

In dieser Konstellation wird die schwarz-grüne Regierung, gestützt auf die Behördenapparate, kaum vor schwerwiegende Aufgaben gestellt. Und da kann sie sich glücklich schätzen, denn personell sind beide Fraktionen weitgehend ausgereizt. Ein gutes Dutzend Grüner mit unbestrittenen Qualitäten sind auf hohe bis höchste Ebenen in die Exekutive gewechselt. Fraktionschef Jens Kerstan, seine Stellvertreterin Antje Möller und noch drei oder vier ernst zu nehmende Abgeordnete verblieben in der zwölfköpfigen Fraktion, die mit Nachwuchstalenten und zweitklassigen Bezirkspolitikern aufgefüllt werden musste.

Ein unerschöpflicher Quell der Kreativität und Kompetenz ist die grüne Partei in Hamburg nicht wirklich. Und die CDU ist mit der Bestückung von Leitungsebenen in Senat und Behörden schon nahezu überfordert. Unter den 56 Christdemokraten, die im Parlament zurückblieben, zählen mindestens drei Viertel zu den eher tragischen Gestalten.

Schwarz-Grün, so lautet das Fazit nach dem ersten Jahr, gibt es wirklich. Und im Labor eines Stadtstaates, der Metropole von Weltrang sein will, funktioniert diese Konstellation recht reibungslos. Wer darin ein politisches Zukunftsmodell sehen will, mag das tun. Schwarz-Grün als kommunales Bündnis der gehobeneren Art zu betrachten, wird der Sache allerdings eher gerecht.