Bei Hartz-Kritik ist keiner allein

ExpertInnen sparen bei einer Diskussion der Hartz-IV-Reform nicht mit Kritik: PDS geißelt egoistische Träger und will Widerspruchsstelle für Ein-Euro-Jobber. Grüne fordern mehr Geld für Qualifizierungen

VON RICHARD ROTHER

Dagmar Pohle nimmt kein Blatt vor den Mund. „Wir sollten uns nicht in die Tasche lügen“, sagte die PDS-Sozialstadträtin von Marzahn-Hellersdorf gestern auf einer Konferenz im Roten Rathaus, die die Perspektiven kommunaler Beschäftigungspolitik durch Hartz IV analysieren wollte. Zwischen der Kommune und der Arbeitsagentur – beide organisieren ab Januar die neuen so genannten Job-Center für Arbeitslose – gebe es kaum Gleichberechtigung. Auch müssten sich Berliner Agentur-Mitarbeiter letztlich Entscheidungen von der Nürnberger Zentrale genehmigen lassen. Auch dahinter steckten oft politische Vorgaben von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD).

Rund 500 so genannter Ein-Euro-Jobs gebe es in Marzahn-Hellersdorf, so Pohle. Diese würden von 22 Trägern organisiert, allerdings habe sie nur zu einem Kontakt gehabt. „Die Träger denken zu sehr aus ihrer Sicht“, sparte Pohle auch hier nicht mit Kritik. Wichtig seien aber Beschäftigungsmöglichkeiten, die vorrangig den Betroffenen nützten und nicht den Trägern. Und: „Die Hand voll Mitarbeiter ist gar nicht in der Lage, die Anträge der Träger zu prüfen.“ Eigentlich sollen nämlich die Ein-Euro-Jobs, zu denen ab Januar jeder Arbeitslosengeld-II-Empfänger verpflichtet werden kann, keine reguläre Beschäftigung verdrängen – ein frommer Wunsch, wenn die Kontrolle mangelhaft ist.

Heftig kritisierte Pohle auch das Vorhaben, Arbeitslose als Helfer in Schulen einzusetzen – etwa als Leiter von Arbeitsgruppen, Hausmeisterhilfen und Gärtner. Diese Jobs seien nur scheinbar zusätzlich, weil der Staat nicht in der Lage sei, mit ausreichend Personal seine Aufgaben in der Schule zu erfüllen.

Ein Einwand, den Oswald Menninger nicht gelten lassen wollte. Lehrer in Deutschland verdienten das 1,7-fache des OECD-Durchschnitts, kritisierte der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin. Dennoch seien die Ergebnisse in den Schulen schlecht. Überhaupt steht Menninger den Ein-Euro-Jobs, die er lieber „Zusatzjobs“ nennen würde, durchaus positiv gegenüber. „Wir begrüßen die Arbeitsgelegenheiten, insbesondere für Jugendliche.“ Sie verhinderten, dass Menschen lange Zeit vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen würden. Wichtig bei diesen Jobs sei, dass sie zusätzlich angeboten würden und Betroffenen Qualifizierungen ermöglichten. Als Beispiel nannte Menninger den „Kleinen Pflegeschein“. Damit bekämen geeignete Arbeitslose größere Chancen, in der Altenpflege einen Job zu finden.

PDS-Arbeitsmarktexpertin Carola Freundl hob die Notwendigkeit einer Widerspruchsstelle hervor. Damit sollten die Betroffenen die Möglichkeit bekommen, sich über die Zuweisung eines Ein-Euro-Jobs zu beschweren. Reiner Aster, Geschäftsführer der Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung (gsub), eines der großen arbeitsmarktpolitischen Player, widersprach dem häufig geäußerten Wunsch, Ein-Euro-Jobs müssten freiwillig sein. Auch in dieser Frage müsse das „Prinzip Fordern“ greifen, sonst verpuffe die Reform. Das Land Berlin müsse zudem in die Finanzierung von Qualifizierungen für Arbeitslose einsteigen.

Eine Forderung, die die Grünen-Fraktion gestern erneut erhob. Ein Teil der durch Hartz IV eingesparten Mittel müsse für die aktive Arbeitsmarktpolitik, vor allem für Qualifizierungen, eingesetzt werden, so Fraktionschefin Sibyll Klotz. „Das Ziel müssen verwertbare Abschlüsse beziehungsweise Bausteine dafür sein, denn langzeitarbeitslose BerlinerInnen haben ein massives Bildungsproblem.“ So verfügten 42 Prozent über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Klotz geht von Einsparungen in Höhe von bis zu 350 Millionen Euro jährlich aus.

Auch die SPD erwägt laut Medienberichten, einen Teil dieser Einsparungen in ein Landesprogramm für Arbeit und Wirtschaftsförderung zu stecken. Dies wolle der SPD-Landesvorstand auf dem Parteitag am 4. Dezember vorschlagen.