: Irritierend unkompliziert
Das Mauermuseum ist Berlins größte Touristenattraktion. Das rot-rote Establishment reagiert auf den Erfolg verstört
Der Coup ist ihr wirklich gelungen. Getarnt als rechtlich und bezirkspolitisch nicht zu beanstandende, das heißt zu verhindernde Kunstaktion, hat Alexandra Hildebrandt, Chefin des Mauermuseums am Checkpoint Charlie, jüngst auf zwei brachliegenden Flächen am Rande der früheren Nahtstelle zwischen Ost und West 1.065 mächtige schwarze Kreuze installieren lassen. Nun war das Areal zwischen den Bezirken Mitte und Kreuzberg ohnehin schon des Museums wegen ersichtlich zur wichtigsten Touristenattraktion der Hauptstadt geworden: Und wie es sich für einen populären Ort gehört, wurde es außerdem noch von fliegenden Händlern flankiert, die Russisches (Fellmützen, Bernsteinketten, Matrjoschkapuppen) feilbieten.
Alles in allem der spektakulärste, liebste und fotografierwürdigste Punkt einer jeden Berlinreise. Sagen Klassenlehrer aus allen deutschen Landen, berichten Reiseomnibusunternehmer, ob aus Norwegen oder Spanien, und dies bejahen ebenso alle Stellen in der hauptstädtischen Stadtverwaltung, welche die spontanen Interessen der Berlinbesucher im Auge zu behalten haben. Man stellte also fest, nach Zählungen der Fotografiereinsätze: Diese Schnittstelle zwischen Freiheit und Sozialismus ist eindrücklicher, somit wichtiger als die auf Hochkulturelles abonnierte Museumsinsel.
Allein: Die Stadt scheint sich ein wenig dieses Platzes zu schämen. Er hat etwas Trashiges, er hat nichts Heiliges, er hat vielleicht zu wenig vom feierlichen Ton, der gern rund ums, zum Beispiel, Pergamonmuseum angeschlagen wird. Man will außerdem den Osten (oder wen man dafür hält) nicht allzu sehr herausfordern und die Mauertoten nicht zu Interpretationsteilen der (freilich erledigten) Systemkonkurrenz machen. Die Toten an der DDR-Grenze sollen, so die (un-)heimliche Furcht, nicht mit den jüdischen Opfern des Nazireichs rivalisieren müssen. Obendrein gelten die Leute vom Mauermuseum als schwierig, verbohrt und eher gering verhandlungsbereit – gewiss auch, weil sie seit Jahren so erbarmungslos die Erinnerung an die Mauertoten bewahrt wissen wollen. Wie mit den Kreuzen, die bei Kritikern so erwartet wie eilends Fantasien beflügelten, ihr Arrangement erinnere an das im Bau befindliche Holocaustmahnmal.
In Wirklichkeit aber genießen die beiden Kreuzflächen schon jetzt, wenige Tage nach ihrer Einrichtung, allerhöchste Wertschätzung bei Touristen auf Fotoobjektsuche. Man knipst und guckt, guckt und knipst. Dokumente und Belege für zu Hause: Dort sind sie als Berlin und nichts als Berlin erkennbar. Und was sagt Bürgermeister Wowereit? „Wir sehen das, was da passiert, zwiespältig. Aber das, was jetzt da läuft, müssen wir zunächst hinnehmen.“
Müssen? Ja, denn die Aktion ist auf dem Amtswege nicht abzuwürgen mit der Drohung von Subventionskürzung – sie wurde in Gänze privat finanziert.
Bleibt jedoch die Kritik, die Kreuze würden das im Kalten Krieg vergossene Blut bagatellisieren, es heißt darüber hinaus, das Mauermuseum sei wie die Kreuzflächen gar nicht recht dokumentarisch, sondern nur ein Indiz für eine abzulehnende Disneylandisierung des Gedenkens. Ein Einwand, der nur in Deutschland geäußert wird: Als ob nur zählt, was strengster Prüfung nach Authentizität standhält. Und was einem Bedenken ähnelt, das behauptet, Fernsehen sei nur wegen seiner Dokus, nicht der Unterhaltung wegen spannend. Na, da werden die Mauermuseumsleute aber erschrecken: Haben im Totalitarismusstreit versagt, sind nicht ausgewogen – die Aufmerksamkeit von unzähligen Berlinbesuchern ist ihnen jedoch bis auf weiteres gewiss. JAN FEDDERSEN