Der Angriff auf Falludscha wird erwartet

Der irakische Regierungschef droht der von Aufständischen kontrollierten Stadt mit Gewalt, falls es nicht zu einer Verhandlungslösung kommt. Trotz der instabilen Lage hat die Registrierung für die Wahlen im Januar begonnen

VON KARIM EL-GAWHARY

Am Vorabend der US-Wahlen bereiten sich die US-Marines auf der anderen Seite der Welt auf den Sturm der irakischen Stadt Falludscha vor. Die meisten Beobachter glauben, dass der erwartete Angriff auf die 250.000 Einwohner zählende Stadt, die seit April von den Aufständischen kontrolliert wird, unmittelbar bevorsteht, sobald die Amerikaner zur Urne geschritten ist. „Die Zeit läuft ab“, warnte der irakische Interims-Premier Ayad Alawi am Wochenende noch einmal das Sammelsurium aus Nationalisten, ultrakonservativen Islamisten und kriminellen Banden, das nach Angaben der wenigen, meist irakischen Journalisten vor Ort die Stadt kontrolliert.

„Die Gelegenheiten für eine friedliche Lösung schwinden und wenn wir es nicht friedlich schaffen, werden wir mit Gewalt vorgehen“, droht Alawi. Der von den USA eingesetzte Ministerpräsident hatte noch bis letzten Dienstag mit den lokalen Stammeschefs und Scheichs verhandelt. Auf Widerspruch stießen Alawis scharfe Worte bereits in seiner eigenen Regierung. Präsident Ghasi al-Jawa erklärte gestern gegenüber der kuwaitischen Zeitung Al-Qabas, dass er eine militärische Lösung in Falludscha für vollkommen falsch hält. „Das ist so, als wenn man einem Pferd in den Kopf schießt, weil eine Fliege darauf sitzt, die dann einfach davonfliegt, während das Pferd tot ist“, sagte er gegenüber der Zeitung.

Doch die Lage in Falludscha ist auch jetzt alles andere als ruhig. „Shaping attacks“ – „in Form schießen“, nennt das US-Militär seine Methode, die Stadt seit Wochen regelmäßig zu bombardieren, damit sich die Aufständischen nicht gruppieren und auf den Angriff vorbereiten können. Der Kleinkrieg rund um die Stadt ist in vollem Gange. Am Samstag raste ein Selbstmordattentäter mit einem mit Sprengstoff beladenen Auto in einen Konvoi der Marines und riss dabei acht Soldaten mit in den Tod, der höchste Verlust der Marines, seit sie bei ihrem letzten Angriffsversuch auf die Stadt im April 17 Soldaten verloren hatten. „Wir sind mit Selbstmordattentätern, Scharfschützen, Granatwerfern und Fahrzeugen konfrontiert, die im Vorbeifahren auf uns schießen“, erklärt Hauptmann Andrew Carlson die Lage.

Aber auch die Marines haben ihre Finger locker am Abzug. Am gleichen Tag, als acht ihrer Leute ums Leben kamen, eröffneten sie das Feuer auf ein Taxi, das sich einem ihrer Kontrollpunkte näherte, aus Angst, es könne sich um einen weiteren Selbstmordattentäter handeln. Alle sechs Insassen kamen ums Leben. Eine erste Untersuchung ergab, dass sich im Auto kein Sprengstoff befand, und ein Sprecher der Marines sprach von einer „etwas unglücklichen Episode“.

Im benachbarten Ramadi brachen am Montag erneut Kämpfe aus, bei denen auch der irakische Kameramann Dia Nadschim beim Filmen ums Leben kam. Es ist der 24. Journalist, der dieses Jahr im Irak getötet wurde.

Die neuste Statistik des US-Think-Tanks „Brookings Institute“ spricht ebenfalls für sich. Wurde die US-Armee Anfang des Jahres 410-mal im Monat angegriffen, zählte sie im vergangenen Monat 2.400 Attacken.

In der Hauptstadt stellten die Aufständischen gestern erneut ihre Präsenz unter Beweis und rasten mit einem Fahrzeug in den Konvoi des Vizebürgermeisters von Bagdad und erschossen ihn. Hatem Kamil Abul Fatah war sofort tot, zwei seiner Leibwächter wurden schwer verletzt.

Trotz der instabilen Lage hat inzwischen die Registrierung der irakischen Wähler begonnen, die laut Plan bis Ende Januar erstmals frei eine Regierung bestimmen sollen. Die Iraker haben nun sechs Wochen Zeit, sich auf Basis der alten Lebensmittelkarten, die im „Öl für Nahrungsmittel“-Programm während der UN-Sanktionen gültig waren, einzuschreiben. Dazu wurden 550 Registrierungsbüros eröffnet.

Für die Wahlen wird entscheidend sein, ob die Regierung und die US-Truppen bis zum Wahltermin gut zwei Dutzend Kleinstädte im so genannten sunnitischen Dreieck von den Aufständischen zurückerobern werden. Bisher ist ihnen das nur vor wenigen Wochen in Samarra nördlich von Bagdad gelungen, die aus Stammesgründen traditionell in Konkurrenz zu Tikrit, der benachbarten Hochburg Saddam Husseins, zählte und die allgemein als das schwächste Glied in dem von Aufständischen kontrollierten Gebiet angesehen wurde. Falludscha, darüber sind sich alle einig, dürfte dagegen das andere Extrem darstellen. Doch selbst wenn die Marines es schaffen sollten, die aufmüpfige Stadt am Euphrat zurückzuerobern, steht die schwache Regierung in Bagdad dann vor der Aufgabe, wieder funktionierende staatliche Einrichtungen zu schaffen und funktionsfähig zu halten.