schröders rede
: Wenigstens mit Gesamtkonzept

Wer die Regierungspolitik unsozial findet, wird sie nach der Rede von Gerhard Schröder auf dem Parteitag nicht plötzlich für gerecht halten. Auch werden die Umfragewerte für die SPD nicht gleich in die Höhe schnellen, und wer kürzlich aus der SPD ausgetreten ist, wird nicht morgen um ein neues Parteibuch bitten. Derlei Hoffnungen müssten jeden Redner maßlos überfordern. Aber was ein Parteivorsitzender mit einer Ansprache leisten kann, das hat Schröder gestern geleistet: Er hat Tagespolitik in ein langfristiges Gesamtkonzept eingebettet. Endlich.

Kommentar von BETTINA GAUS

Neu waren nicht die Inhalte, neu war der Rahmen. Die Prioritäten der Arbeitsbeschaffung und der Bildungsförderung, der Entwurf eines schlanken, aber starken Staates, die Definition der sozialen Gerechtigkeit als Chancengerechtigkeit – all das hat man so oder ähnlich schon gehört. Aber gestern ist es dem Parteivorsitzenden gelungen, viele Steinchen zu einem Mosaik zusammenzufügen. Schröder strebt das Ziel einer wirtschaftlich starken, bildungsorientierten und familienfreundlichen Gesellschaft an. Um das zu erreichen, müssen seiner Vorstellung nach alle, also auch sozial Schwächere, belastet werden. Gut. Das ist wenigstens eindeutig.

Chancen bieten nur Möglichkeiten, aber keine Sicherheit. Diejenigen, die nicht – oder nicht mehr – leistungsfähig sind, kamen in der Rede kaum vor. Wenn der SPD-Vorsitzende bekennt, die Rentenkürzung sei ihm schwer gefallen, dann ist das glaubhaft. Aber ein bisschen wenig. Die bloße Hoffnung darauf, dass die Schwachen schon profitieren werden, wenn es den Starken gut geht, war bisher kein Leitmotiv sozialdemokratischer Politik. Der berechtigte Hinweis, die Opposition plante noch schlimmere Grausamkeiten, ist ein schwacher Trost.

Schröder wusste, dass er die sozialdemokratische Seele streicheln musste, und er hat sie gestreichelt. Er geißelte Steuerflucht, betonte seinen Willen zur Friedenspolitik und holte sich mit seinem Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus sogar Applaus auf Kosten seines Generalsekretärs ab, der diesen Begriff hatte streichen wollen. Der Kanzler sprach als Parteivorsitzender und lieferte einer mutlosen Basis die Argumentationshilfe, die sie dringend braucht. Vorhersehbare Konflikte der Zukunft klammerte er aus. Aber dennoch ließ er keinen Zweifel daran, wie die große Linie aussehen soll. Wenigstens wird man ihm nun nicht mehr vorwerfen können, dass er keine habe.