Die Schwarzwaldparabel

Einmal Köhler immer Köhler: Das diesjährige Weihnachtsmärchen am Bremer Theater, Wilhelm Hauffs „Kaltes Herz“, erzählt in schwungvollen Bildern und höchst moralisch von der Stabilität der Verhältnisse. Wie schon in den vergangenen Jahren als Regisseurin aktiv: Irmgard Paulis

Brauchen Kinderstücke so etwas wie Moral? Vor allem brauchen sie eine gut erzählbare Geschichte. Das „Kalte Herz“ nach Wilhelm Hauff, das jetzt am Goetheplatz als Weihnachtsmärchen Premiere hatte, hat beides. Wobei die Geschichte gut und die Moral zumindest fragwürdig ist. Sie lautet in Kurzform: Schuster bleib bei deinem Leisten.

Genauer: Köhler-Peter, brenn‘ weiter deine Kohlen und gib dich mit den Lebensumständen, in die du hineingeboren bist, zufrieden. Genau die gefallen dem jungen Burschen anfangs überhaupt nicht. Statt mit den anderen im Wirtshaus zu spielen und zu tanzen, muss er im einsamen (Schwarz-)Wald den vom Vater geerbten Kohlenmeiler betreiben. Regisseurin Irmgard Paulis lässt Johann Zürner bitterlich sein Leid beklagen, aus dem ihm zunächst das Glasmännlein mit drei freien Wünschen helfen soll.

Nachdem er die nutzlos vergeudet hat, bleibt nur noch der Verkauf des Herzens an den Holländer-Michel, der ihm dafür unendlichen Reichtum und Unabhängigkeit von allen Gefühlsregungen verschafft.

Das Schöne an Paulis‘ Inszenierung: Die Bösen sind die besten Schauspieler. Carlo Lauber, Arne David, Lars Wasserthal und Karola Niederhuber sind ein formidables Wirtshaus- beziehungsweise Wanderer-Quartett. Immer wenn gewürfelt, getanzt oder sich geprügelt wird, funktioniert die Szene perfekt, ist sie präzise und hat Drive. Yoshiko Waki hat das so exzellent choreografiert, dass man sogar den Einsatz bayerischen Liedguts im alemannischen Schwarzwald gern akzeptiert.

Ausgerechnet beim Holländer-Michel (Rafael Banasik) bestätigt sich das szenische Primat des Bösen allerdings nicht ganz: Dessen gewaltige Gestalt, die aus der Ferne wunderbar bedrohlich wirkt, konkretisiert sich bei längeren Sequenzen allzu sehr in Richtung Altrockerfigur – dabei sind Motorradfahrer im Kern doch bekanntermaßen weiche Kerle. Derweil suchen die wirklich Guten, etwa das gramgebeugte Köhlermütterlein, ihr Heil immer wieder in Musicalanleihen, die aber seltsam aufgesetzt wirken. Ansonsten ist die live eingespielte Musik ein weiterer Trumpf der Inszenierung.

Ähnlich gut wie das meiste Böse funktioniert die Bühne: Petra Korink hat einen rotierenden Hügel mit Tannen und Hüttenarmut bepflanzt, was zwar wie eine überdimensionierte Märklin-Landschaft aussieht, aber einen passenden Rahmen für alle möglichen ausstatterischen Effekte liefert – von lustigen Faunaeinsätzen bis hin zu antinaturalistischen Erweiterungen der Köhlerbehausung im Zuge von Peters zunehmendem Reichtum.

Dessen Aufstieg kann nicht gut enden, sonst würde die frei entfesselte Geldwirtschaft ja ungestrafte Triumphe feiern. In kaltem Zorn erschlägt er also seine Frau, womit er allerdings den eigenen Bosheitsbogen überspannt: Voll Reue will er sein echtes Herz zurück und wieder ein einfacher Köhler sein.

So changiert die Moral zwischen schuhplattelnder Kapitalismuskritik und einer schlichten Warnung: Wer die Verhältnisse verändern will – und seien es nur die eigenen –, stürzt die Welt in Chaos, Mord und Totschlag. Wer diese Message getrost vergisst, sieht ein über weite Strecken sehr gut gemachtes Weihnachtsmärchen. Henning Bleyl

Für Kinder ab sechs Jahren. Weitere Termine: 4., 11. sowie 22. bis 25.11. um 10 und um 12.30 Uhr, am 19.11. um 10 und 19.30 Uhr. Karten: (0421) 36 53 333