berliner szenen Zu Gott schwitzen

Pfarrers Leiden

Vor kurzem in der Kirche. Messe um 18 Uhr an einem Wochentag. Vorne rechts sitzen zwei Frauen beieinander. Am linken Rand hat sich ein Mann in Bürokleidung niedergelassen und ganz hinten zwei ärmlicher wirkende Männer. Sie alle wirken still und in sich gekehrt. Später huscht noch eine Philippinerin hinein. Ein Rest Tageslicht dringt durch die Fenster und es ist kühl, obwohl schon etwas geheizt wird.

Der Pfarrer scheint schwer krank, denn er muss sich ständig Schweiß von der Stirn wischen. Man spürt die Mühe, mit der er seinen Dienst versieht. Trotzdem möchte man ihm ein fassungsloses „Also bitte, der Herr!“ entgegenrufen. Er steht mit dem Rücken zur Gemeinde und zelebriert die Messe. Man versteht kein Wort von dem, was er sagt, so nuschelt er. Die vielen Lautsprecher der St.-Bonifatius-Kirche in Kreuzberg, die ungefähr fünf mal so groß ist wie die Passionskirche, machen daraus Wellen aus Tönen, mal schnarrend, mal zu leise, mal schrill. Ab und an spielt ein Mann auf einer kleinen Orgel vorne beim Altarraum ein paar Takte, die große Orgel oben auf der Empore schweigt. Der leidende Pfarrer berlinert, was zu sagen ist, in sein Mikrofon, man versteht nichts, steht nur manchmal auf und setzt sich wieder hin.

Bis auf ein abstraktes, lilafarbenes Altarbild ist die düstere Kirche ganz schmucklos. Von den Frauen vorne rechts geht eine sich eine Oblate holen. Sie macht den Eindruck, als fühle sie sich hier ganz zu Hause. Mit dem Segen und ein paar letzten Akkorden werden wir entlassen. Die Philippinerin zündet noch eine Kerze an, außerdem wünscht sie dem Pfarrer, der die Kirche fluchtartig verlässt, gute Besserung. Aber der antwortet nicht, wahrscheinlich sind seine Gehörgänge völlig dicht.

KATRIN SCHINGS