: „Der Generationswechsel ist verpasst“
Der Essener Bildungsökonom Klaus Klemm wirft den Kultusministern vor, stets zu viele oder zu wenige Lehrer auszubilden. Berufsanfänger sind nach den altväterlichen Prinzipien der 70er-Jahre ausgebildet und müssten eigentlich sofort zur Weiterbildung. Der nächste „Schweinezyklus“ steht bevor
INTERVIEW CHRISTIAN FÜLLER
taz: Herr Klemm, Sie gehen nachher wieder Pädagogen ausbilden. Können Sie den Lehrerstudenten in Ihren Seminaren eigentlich guten Gewissens den Job empfehlen?
Klaus Klemm: In der Mehrheit haben die Lehramtsstudenten noch Chancen. Schließlich brauchen die Bundesländer in den nächsten zehn Jahren etwa 300.000 neue LehrerInnen für ihre Schulen. Dennoch sind die Signale der Kultusminister an die angehenden Lehrer widersprüchlich.
Die Schulverantwortlichen machen sogar Werbe- und Imagekampagnen im Fernsehen – das gab es noch nie.
Ja, aber sie stellen andererseits weniger Lehrer neu ein, als sie es sich selbst vorgenommen haben. Statt geplanter 31.000 haben die Kultusminister 2004 nur 22.000 genommen. Die bereiten die nächste Lehrerlücke vor.
In welchen Fächern gibt es Berufschancen?
In manchen geisteswissenschaftlichen Fächern der Gymnasien wird es schon wieder eng. An den Grundschulen haben wir eher zu viel als zu wenig Lehrer. Dringend gesucht werden Lehrer in den Berufsschulen, in den Naturwissenschaften und in musischen Fächern.
Aber steht bei den Lehrern nicht ein Generationswechsel bevor?
Rund die Hälfte der 789.000 Lehrer geht bis 2015 in Pension. Wenn wir nur den Ersatzbedarf decken wollen, dann müssen jährlich etwa 30.000 neue Lehrer in die Schulen – und die Kultusminister hatten ja versprochen, so viele einzustellen. Das wären dann mehr als drei Prozent der ganzen Lehrerschaft, die jährlich ausgetauscht werden. Eine echte Verjüngungskur.
Kommen wir damit aus dem immer wieder erlebten Schweinezyklus heraus, bei dem sich Phasen des Lehrermangels und der Lehrerarbeitslosigkeit ablösen?
Nein, das schaffen wir wohl nicht. Das Problem ist, dass jetzt rund zehn Jahre verstärkt eingestellt – und parallel dazu für den Beruf geworben wird. Dann ist der Laden aber wieder vollkommen dicht. Unfreundlich gesagt, muss die jetzt angeheuerte Lehrergeneration erst durchwachsen, ehe wieder Platz für Nachwuchs sein wird – zwanzig, dreißig Jahre später. Aus dem negativen Zyklus kommt man schlecht raus: Entweder es sind ganz viele alte oder ganz viele junge Lehrer in der Schule.
Was könnte man dagegen tun?
Man muss sehr kontinuierlich einstellen und verjüngen. Das hat man früher verpasst. Es gab Zeiten, da stellten die westdeutschen Länder nur 5.000 Lehrer jährlich ein. Man ging sehenden Auges in den Schweinezyklus – und man verhinderte auch, dass Leute mit neuen Ideen die Schule und die Kollegien auffrischen.
Was meinen sie damit?
Jedes Unternehmen sichert seine Innovationsfähigkeit, indem es neue Leute ins Team holt. In den Lehrerkollegien ist das über Jahre hinweg verpasst worden. Wer von den Entwicklungen draußen abgeschnitten ist, der steht in der Gefahr, dass sich das Personal und seine Vorstellungen von Lehren und Lernen verfestigen.
Gut. Aber jetzt kommt doch eine neue Lehrergeneration in die Schulen.
Ja und Nein. Auch die neuen Lehrer werden noch nach Altvätersitte ausgebildet worden sein. Seit den 70er-Jahren ist die Lehrerausbildung im Kern nicht anders geworden. Die Bildungsökonomen, auch ich, haben immer wieder darauf hingewiesen, dass wir den bevorstehenden Generationswechsel nutzen sollten – auch inhaltlich.
Und was ist passiert?
Ganz wenig. Die Chance ist vertan und das ist ein Versagen der Politik. Ihre Reformen der Lehrerausbildung werden erst nach 2010 wirksam. Das bedeutet, wir schicken in den kommenden Jahren, also nach dem Pisa-Schock, Lehrer mit der gleichen Ausbildung in die Schulen wie vor Pisa. Nach Ansicht der OECD sind diese Junglehrer vom ersten Tag an weiterbildungsbedürftig.
Und die Lehrer müssen damit fertig werden. Warum empfindet eigentlich diese Berufsgruppe eine so große Spannung zwischen dem tatsächlich erlebten Job und der gefühlten Verschlechterung des Images?
Das ist eine gefährliche Mischung aus objektiven Defiziten und den extrem hohen Erwartungen, die an die Lehrer gestellt werden. Sie geben Lehrern mit unseren Kindern sozusagen unsere Zukunft in die Hände, einerseits. Andererseits sind deutsche Lehrer durchschnittlich sehr alt. Viele sind wirklich am Ende ihrer Kräfte. Und dann ist das Arbeiten in der Schule ja auch fraglos schwieriger geworden. Vor allem anderen wegen der hohen Heterogenität der Schülerpopulationen. Wir bilden unsere Lehrer aber immer noch in so genannten Lehrämtern aus. Also so, als hätten sie homogene Schüler vor sich, die sich wie ein Ei dem anderen gleichen. Dabei ist die Schülerschaft innerhalb einer Klasse heute ethnisch und sozial sehr vielfältig.
Ok, aber andere Berufe sind doch auch anstrengend.
Ja, jede Berufsgruppe hat an ihrem Paket zu schleppen. Aber kein Beruf muss sich so viele Vorhaltungen machen lassen wie die Lehrer: Ihr habt dauernd frei, ihr schlaft den ganzen Nachmittag, heißt es. Und werdet dabei noch prima bezahlt!
Hat die Lehrerkrise mit dem Beamtenstatus zu tun?
Die OECD hat in der Begutachtung des deutschen Lehrertums da Hinweise gegeben. Ich finde, sie ist da zu vorsichtig. Das starre System der Arbeitszeit bedarf dringend einer Überarbeitung. Wir honorieren unsere Lehrkräfte bis heute weder über Zeit noch über Geld, wenn sie besondere Leistungen erbringen.
Welche besonderen Leistungen?
Zu etwa 40 Prozent besteht die Arbeitszeit aus Unterricht – der Rest sind 1.000 andere Sachen, die auf der Hinterbühne stattfinden. Die werden aber gar nicht honoriert, sondern nur das so genannte Deputat, also die Lehrverpflichtung. In diesem System können wir aber keine Anreize für Lehrer setzen und keine moderne Schulentwicklung befördern. Wie sollen wir die Lehrer denn dazu bringen, sich jenseits des Unterrichts professionell zu engagieren, wenn das keine Anerkennung findet?
Was könnte man tun?
Wenn der Kollege X die Ausarbeitung eines neuen Schulprogramms – was heute jede Schule braucht – vorantreibt, dann muss das honoriert werden. Das sollte so viel wert sein wie zwei Stunden in der Klasse acht.
Kann man damit den Frust und das Burn-out bekämpfen?
Es wäre jedenfalls ein Anreiz. Und ein Ansatz, mit Burn-out umzugehen. Wenn ich Kollegen habe, die mit 53 keinen Nerv mehr haben, sich vor eine neunte Hauptschulklasse in einem innerstädtischen Brennpunkt zu wagen, dann kann man die Erfahrungen dieser Lehrkräfte eben anders nutzen. Die starre Orientierung an den Lehrdeputaten – von beiden Seiten, Lehrern wie Finanzministern – halte ich jedenfalls für ein großes Problem.
Was soll man denn mit erfolglosen Lehrern machen?
Das Thema wird gern totgeschwiegen, obwohl es fast in jedem Kollegium den Fall gibt. Im Beamtenverhältnis ist das praktisch nicht hinzukriegen. Was wir brauchen, ist eine Pflicht zur Personalentwicklung.
Was heißt das konkret?
Dass die Schulkonferenz die Möglichkeit hat, jemanden verpflichtend zur Fortbildung oder zur Supervision zu schicken. Dann könnte man diesen Kollegen auch besser helfen. Aber die Starrheit des Beamtensystems lässt das genauso wenig zu wie eine Kündigung. Dieses Unikum im Vergleich zu anderen Berufen gehört abgeschafft.