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Archiv-Artikel

Blau, grau und weiß, Nebel und Dämpfe

Island ist ein Schwerpunkt bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck. Auf der Insel gibt es erst seit 25 Jahren eine eigene Filmindustrie, die derzeit sehr erfolgreich ist. Möglich wurde dieses Wunder nur durch den Enthusiasmus der Filmschaffenden, allen voran Großmeister Fridrik Thòr Fridriksson

Die Nordischen Filmtage ehren in diesem Jahr ein Land knapp unterhalb des Polarkreises, die Nordatlantik-Insel Island. Seine Einwohnerzahl übersteigt die der Gastgeberstadt Lübeck kaum, in Lübeck leben zirka 214.000 Menschen, in ganz Island rund 350.000.

Diese wenigen allerdings produzieren jedes Jahr beachtlich viele Filme, die international erfolgreich werden. Und das tun sie erst seit 1979 im eigenen Land, die isländische Filmindustrie feiert in diesem Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum. In letzter Zeit wurden junge Werke wie 101 Reijkjavik (2001) von Baltasar Komarkàr und letztes Jahr Noi Albinoi, das Debüt von Dagur Kari, in Deutschland bekannt.

Außerdem bringt der 1954 geborene Großmeister Fridrik Thòr Fridriksson, der 1991 für Children Of Nature über 20 internationale Auszeichnungen gewann, durchschnittlich alle ein bis drei Jahre einen Erfolg heraus. In diesem Jahr wird die Liebesgeschichte Niceland (Næsland) erwartet, die bei den Nordischen Filmtagen Premiere hat. Auch einen anderen Beitrag, Kaltes Licht von Hjilmar Oddsson, hat Fridriksson produziert.

Schon zu Beginn der 80er Jahre gab es jedes Jahr rund vier bis sieben im Land produzierte Filme. Doch auch im „reichen“ Island musste dies hart erkämpft werden. Mit allen verfügbaren Energien hatten isländische Filmemacher, die im Ausland ausgebildet waren, ihre Regierung überzeugt, Produktionen in der eigenen Sprache zu fördern, um sich gegen die US-Filmindustrie zu behaupten. Es blieb zwar trotzdem fast unmöglich, die Kosten im eigenen Land wieder einzuspielen – schlicht wegen der begrenzten Anzahl einheimischer Kinogänger. Doch der Enthusiasmus war groß: Die Filmemacher liehen sich Geld oder kooperierten mit dem Ausland, um durchhalten zu können. Die jetzt in Lübeck gezeigte deutsche Dokumentation Die Wikinger kommen von 1987 veranschaulich die damalige Situation.

Trotzdem erklärt sich so noch nicht der aktuelle Erfolg isländischer Filme. Vielleicht liegt er im Bild der Isländer von ihrer eigenen Heimat begründet? In fast allen Filmen beeinflusst die Natur den Inhalt und die Ästhetik der Geschichten. Die archaischen Landschaften eines Landes, das Schauplatz einer der Weltentstehungsgeschichten ist, bestimmen das Bild und die Stimmung seiner Bewohner. Typische Erkennungsmerkmale sind die Farben Blau, Grau und Weiß, Nebel und Dämpfe, weite Flächen, Finsternis und Licht. Die Charaktere sind oft eigensinnig und individuell. Dazu kommen Mengen von Bier und Schnaps: eine Skizze vom Menschen in der Natur, durch die er lebt, mit der er kämpft und der er oft unterliegt.

In dem neonblau getönten Noi Albinoi wird das Schicksal eines Einzelgängers erzählt, der durch einen Lawinenrutsch alles verliert, was er liebt. Zu seinem Film Kaltes Licht, in dem eine Naturkatastrophe die Familie von Grimut vernichtet, erklärt Regisseur Hjilmar Oddsson: „Das blaue Licht ist kalt, es ist das Licht des Himmels, des Meeres, des Todes und der Ewigkeit. Auf der anderen Seite des Spektrums ist das warme gelbe Licht der Sonne und des Lebens. Die wechselnden Farben und die verschiedenen Gesichter der Naturlandschaften spiegeln unser Innenleben wider.“

Auch in Fridrikssons Werk finden sich viele Beispiele hierfür: In Children Of Nature sucht ein Witwer gemeinsam mit seiner alten Liebe den Ort ihrer Jugend auf, die Fjorde; Cold Fever (1995) schildert die tagelange Odyssee eines Japaners durch das vereiste Land, während derer er mystischen Erscheinungen wie Elfen, Geistern und verschrobenen Bewohnern begegnet. Den Charakter eines Fantasyfilms lassen solche Szenen aber nicht aufkommen, denn sie sind weit entfernt vom Kitsch: Dank einer kargen Landschaft und einer Prise Humor wirken Fridrikssons Geschichten glaubwürdig. In Der Blick des Wikingers (1999) hat Alexander Bohr den Starregisseur und Autodidakten porträtiert, der für die meisten seiner Werke bei den Nordischen Filmtagen Preise bekam.

Der Bedeutung von Heimat (nicht nur) im Zusammenhang mit dem isländischen Erfolg widmen übrigens die Gesellschaft zur Förderung audiovisueller Werke in Schleswig-Holstein und der Schleswig-Holsteinische Heimatbund eine Veranstaltung. Titel: „Island – Heimat des Heimatfilms?“ Imke Staats

„Niceland“: Fr, 11.15 Uhr, Kino7, Sa, 20 Uhr, Kino 3 und 4, So, 16.30 Uhr, Kino Hoffnung; „Kaltes Licht“: Fr, 14 Uhr, Kino 3, Sa, 16.30 Uhr, Kino Hoffnung, So, 20.15 Uhr, Kino 7; „Children of Natur“: Sa, 17 Uhr, Kino 4„Cold Fever“: Fr, 22 Uhr, Kino 6„Die Wikinger kommen“ und „Der Blick des Wikingers“: Sa, 10.30 Uhr, Kino 4„Island – Heimat des Heimatfilms?“: Sa, 13.30 Uhr, Kino 4, Lübeck.