: Ein unilateraler Akt
Antiamerikanismus? Allen Behauptungen zum Trotz gab es den in Europa bislang nicht. Nach diesen US-Wahlen aber dürfte sich das ändern. Toll gemacht, White America!
Sie haben es also tatsächlich wieder getan. Genau gesagt, haben sie es das erste Mal getan, denn vor vier Jahren wurde George W. Bush ja nicht gewählt, sondern ernannt. Aber diesmal lässt sich kaum daran rütteln und deuteln: Bush hat diese Wahl gewonnen (obwohl er im Moment die magische 270-Wahlmänner-Marke im Elektorat noch nicht übersprungen hat und möglicherweise auch in den nächsten elf Tagen nicht überspringen wird). Er hat bundesweit fast 3,5 Millionen Stimmen mehr als Kerry gewonnen. Und er liegt in Ohio fast 120.000 Stimmen voran. Es ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, dass Kerry Ohio noch erobert, wenn jede der angefochtenen, vorerst in den Urnen gebunkerten Stimmen ausgezählt ist – sehr wahrscheinlich ist es aber nicht. Kurzum: Wenn nicht ein paar tausend gewiefte Anwälte noch ein Wunder vollbringen, wird George W. Bush bis Anfang 2009 im Weißen Haus regieren.
Man soll mit großen Worten sparsam umgehen, wir wissen das ja alle, aber es lässt sich in diesem Fall nicht anders sagen: Es ist eine Katastrophe. Denn nicht nur Bush wurde bestätigt. Die Republikaner haben auch wider allen Prognosen ihre Dominanz im Senat behauptet, die im Repräsentantenhaus ohnehin. Schlimmer noch: Vier der neun Richter im Obersten Gerichtshof sind älter als siebzig Jahre. Bisher herrschte im Gericht eine Art Patt zwischen liberalen und moderat-konservativen Höchstrichtern und ihren ultrareaktionären Kollegen. Fallen nur ein, zwei Richter aus und erhält so George W. Bush die Möglichkeit, sie durch seine Favoriten zu ersetzen, dann wird es ganz schnell um das Recht auf Abtreibung in den USA geschehen sein, das Verbot jeder Form von „Homoehe“ würde in Verfassungsrang erhoben. Und der Heimatschutzminister wird noch unverfrorener die bürgerlichen Freiheitsrechte aushebeln.
Wer jetzt noch hofft, so dick werde es schon nicht kommen, dem sei ganz freundlich geraten: Hör zu träumen auf. Vor vier Jahren gab es noch ein paar Gründe, die dafür sprachen, Bush werde ein eher moderater Präsident. Nicht zuletzt der Umstand, dass es ihm an einem klaren Mandat fehlte und er mit Sicherheit keinen Wählerauftrag für extremes Rechts-außen-Regieren hatte.
Es zog ihn trotzdem nicht gerade magnetisch in die politische Mitte. Da soll sich die Bush-Bande ausgerechnet jetzt mäßigen, wo sie mit Stimmenmehrheit bestätigt wurde? Außerdem pflegen US-Präsidenten eher in der ersten Amtszeit auf den politischen Mainstream Rücksicht zu nehmen, in der zweiten weniger – da können sie, gewissermaßen, aufs Ganze gehen, weil sie keine Gedanken mehr an ihre Wiederwahl verschwenden müssen. Und besondere Bedächtigkeit passt ohnehin nicht zum Gemüt dieser seltsamen Kamarilla aus Obskurantismus, Fanatismus und Aberwitz, die sich in Washington um den Präsidenten gruppiert. „Wir sind Akteure der Geschichte, und allen anderen bleibt nur die Rolle des Zuschauers“, formulierte ein Bush-Berater kürzlich in einem Interview mit der New York Times.
Es ist fast ironisch: Die Wähler haben sich, indem sie Bush bestätigten, auch für einen Unilateralismus eigener Art entschieden. Diese Wahl ist ein unilateraler Akt: Die ganze Welt hoffte auf einen Sieg John F. Kerrys, aber die Rednecks, Bibelfreunde und das sonstige Gesocks von White America hat das nicht sonderlich beeindruckt. Es war so ähnlich wie vor dem Irakkrieg. Damals gab es hektische Betriebsamkeit, Wortgefechte und Diashows im UN-Sicherheitsrat, und gleichzeitig wusste jeder, dass dies auf die Entscheidung für den Krieg keinerlei Auswirkungen haben würde; diesmal starrten wir alle auf die Wahlen in den USA, sahen uns eigentlich berechtigt, mitzustimmen, erstens, weil uns das Ergebnis dieser Wahl direkt betrifft, zweitens aber auch, weil es um unser aller Amerika ging – und durften doch nur als passives Publikum die Nacht vor dem TV-Schirm durchmachen. Wir waren so beteiligt wie der Zuschauer bei einem packenden Fußballspiel, dessen Beitrag sich darauf beschränkt, alle paar Augenblicke nervös mit dem Fuß zu zucken. Natürlich ist diese Wahl, an der die Leute von Berlin bis Jakarta, von Rio bis Rabat derart elektrisiert partizipierten, auch ein weiteres Kapitel in der Amerikanisierung des Planeten, wie das Michael Rutschky vor ein paar Tagen in der taz formulierte. Aber sie könnte auch einen vorläufigen Höhe- und Schlusspunkt markieren.
Alles, was bisher von streng blickenden Krawattenträgern mit hochgespreiztem Zeigefinger oder von irrlichternden Pariser „Neuen Philosophen“ als „neuer Antiamerikanismus“ verdammt wurde, war ja in Wahrheit überwiegend die Verteidigung des idealen Amerika, dieses kulturellen Magneten für Generationen, gegen seine Usurpatoren. „So gut wie jeder unterscheidet zwischen dem Land Amerika, seinen Menschen, Idealen, seiner Technik und Popkultur, die man bewundert, und der amerikanischen Regierung, die man alles andere als bewundert“, schrieb der amerikanische Autor Mark Hertsgaard unlängst. Das könnte sich ändern, so seine Prognose. Denn werde Bush bestätigt, „könnte die globale Reaktion drastisch ausfallen“.
Gewiss ist Amerika emotional etwas unausgeglichen. Der Schock des 11. September wirkt nach; das Land befindet sich in einem Krieg; man wechselt im Krieg nicht gerne das Pferd. Stimmt schon alles. Aber es ändert nichts: Die Mehrheit der Amerikaner hat für einen intellektuell minderbemittelten Fanatiker und trockenen Alkoholiker gestimmt, der religiösen Obskurantismus und außenpolitischen Radikalismus aufs Scheußlichste verrührt. Und in einer Demokratie ist, hin oder her, das Volk verantwortlich für die Regierung, die es wählt.
Der Mensch ist, schon im eigenen Interesse, ein nachsichtiges Wesen. Er neigt dazu, besonders dann, wenn er nichts ändern kann, seiner Zeit gewissermaßen mildernde Umstände zuzugestehen: Oh die armen Amis, sie konnten ja gar nicht mit klarem Kopf abstimmen! Oh doch, sie konnten. Sie sind potenziell vernunftbegabte Wesen und sie hätten sich ein paar Gedanken machen können. Sie haben es nicht getan. Wenn andere Völker eine idiotische Regierung oder idiotische Parteien wählen (man hat damit in Europa so seine Erfahrungen), dann haben sie selbst die Folgen zu tragen. Im Falle Amerikas haben wir sie alle zu tragen. Da können wir uns stundenlang darüber unterhalten, dass Amerika eigentlich kein Imperium im klassischen Sinne ist.
Klar, wir alle lieben Amerika. Die Bücher, die Filme, die Musik, Woodstock, Hollywood, „Sex and the City“, diesen leicht naiven, aber liebenswerten Zug, in Grenzen nur Schranken zu sehen, die es zu überwinden gilt, die stetigen, optimistischen Versuche, die Welt zu einem besseren Platz zu machen. Und gewiss sind auch Bush, seine Entourage und seine Wähler Kinder dieses Amerika. Gleichzeitig aber sind sie die Negation dieses Amerika. Sie sind die dunkle Unterseite des amerikanischen Traums. Wir gewöhnen uns besser daran, in Leuten wie Private Lynndie England das wahre Gesicht der Vereinigten Staaten zu sehen.
ROBERT MISIK