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Archiv-Artikel

Die Zähmung des Biestes

Obwohl der Kampf mit der Maschine wieder unentschieden endet, zieht sich der weltbeste Schachspieler Garri Kasparow im Duell mit dem Programm X3D Fritz diesmal besser aus der Affäre

von HARTMUT METZ

Die Abtauschorgie in 3D hat nur bei einem überschwängliche Gefühle ausgelöst. Remis nach 27 Zügen, in denen 22 der 32 Figuren abgeholzt wurden. Der Friedensschluss zwischen Garri Kasparow und dem deutschen Schachprogramm X3D Fritz besiegelte im New Yorker Athletic Club den 2:2-Endstand. Das dritte Unentschieden zwischen Mensch und Maschine binnen eines Jahres. Weltmeister Wladimir Kramnik (Russland) hatte die großen Duelle mit einem 3:3 in Bahrain gegen Deep Fritz eingeleitet und sein Landsmann Kasparow diese mit dem gleichen Resultat gegen den israelischen Computer-Weltmeister Deep Junior fortgesetzt.

Diesmal blieb Kasparow, der 175.000 Dollar kassierte, harsche Kritik an derselben Stätte erspart. Das Remis war ausgekämpft: Die dreidimensionale Animation der Jenaer Firma X3D-Technologies zeigte dem hinter einer dunklen Brille brütenden Weltranglistenersten nur noch je einen König, Dame, Turm und zwei Bauern in Weiß und Schwarz an. Keine Seite konnte mehr gewinnen. Im Februar hatte Kasparow Unmut hervorgerufen, als er in der letzten Partie trotz leichter Vorteile ängstlich einen Friedensschluss vorschlug. Der amerikanische Sportfan will keine Unentschieden, sondern strahlende Sieger und tragische Verlierer. Doch dem weltbesten Schachspieler sitzt seit seiner Schlappe von 1997 gegen den legendären IBM-Großrechner Deep Blue, erste Niederlage eines Schach-Weltmeisters gegen ein Programm (2,5:3,5), die Angst im Nacken.

Diesmal darf sich Kasparow als moralischer Sieger fühlen. Insgesamt sei er mit seiner Leistung zufrieden und habe die Maschine alles in allem „ausgespielt“, tönte der 40-Jährige. Lediglich die Niederlage in Runde zwei hinterließ einen faden Beigeschmack. „Ich machte nur einen Fehler – doch leider kostete der Schnitzer die Partie“, klagte der Moskauer. Das „trickreiche Biest“, wie Schnellschach-Weltmeister Viswanathan Anand (Indien) Fritz nannte, hatte sofort zugeschnappt. Die Kommentatoren sahen bereits die Götterdämmerung heraufziehen. „Garri wird alt. Drei, vier Stunden hält man mühelos mit, dann kommt der Blackout“, unkte der Erfurter Großmeister Thomas Pähtz nach dem Patzer.

Mit den weißen Steinen wirkte Kasparow allerdings danach nicht alt, sondern war wieder ganz der Alte. Der Moskauer lieferte ein Lehrstück für „Computer-Karate“. Bereits im siebten Zug unterlief Fritz der erste Fehler mit einem Bauernvorstoß nach a5. Geschickt belagerte und eroberte hernach sein Kontrahent den Bauern. Während in offenen Stellungen die Rechengewalt der vier Drei-Gigahertz-Prozessoren besonders zum Tragen kommt, fördern die kalkulierten vier Millionen Züge pro Sekunde in geschlossenen Stellungen oft Unsinn zu Tage. „Wir kennen das Problem. Es ist nur so, dass wir nicht wissen, wie wir es beheben sollen“, erklärte Fritz-Erfinder Frans Morsch.

Der Unterschied zwischen offenen und geschlossenen Positionen lässt sich mit einem Wettrennen zwischen einem Jeep und einem Formel-1-Boliden vergleichen: Macht der Geländewagen auf offener Straße nur einmal Platz, rast der Formel-1-Flitzer vorbei und man sieht nur noch den Auspuff. Im günstigsten Falle kann der Gegner nicht überholen und man geht gemeinsam über die Ziellinie. Im dichten Dschungel reicht der Druck aufs Gaspedal nicht aus. Weniger PS genügen, wenn man einen Plan hat, wie das Dickicht am besten zu durchdringen ist. Die Rechengewalt verpufft hinter dem Wahrnehmungshorizont des Computers. Der Mensch kalkuliert lediglich zwei bis drei Züge pro Sekunde, aber mit einem festen Ziel vor Augen.

Seinen Plan setzte Kasparow in der dritten Partie konsequent um. Energisch diktierte er Zug um Zug in das Mikro, wonach diese auf dem 3D-Brett gesetzt wurden. Nach 45 Zügen gaben die Fritz-Programmierer auf. Mit einem breiten Grinsen kommentierte Kasparow: „Es gibt viele, viele Positionen auf dem Brett, die die Maschinen nicht verstehen und in denen sie völlig überfordert sind. Ich denke, wir haben gesehen, dass die Computer noch immer einiges von uns lernen können!“