: Gegen das glatte Gedenken
Mit ihrem Holzkreuzwald am Checkpoint Charlie provoziert Alexandra Hildebrandt nicht nur die offizielle Erinnerungskultur. Ihr Museum appelliert an Gefühle, wo andere Institutionen und die Politik versagen. Ein Plädoyer für couragiertes Gedenken
VON PHILIPP GESSLER
Mein Gott, wie peinlich! Alexandra, Witwe des verstorbenen Rainer Hildebrandt, der das Mauermuseum „Haus am Checkpoint Charlie“ gegründet hat, macht, pünktlich zum 15. Jahrestag des Mauerfalls, wieder von sich reden. Und wie! Eine kitschige Installation aus Holzkreuzen neben falsch platzierten Mauerresten, absurde Soldatenschauspieler in Uniform mit französischen, britischen und US-Fahnen am nachgebauten Wärterhäuschen auf der Friedrichstraße, unsägliche Vergleiche ihrer „Kunstaktion“ mit dem Holocaust-Mahnmal. Womit hat Berlin, diese arg geschundene Stadt, das verdient?! Und: Wie konnte es dazu kommen?
Die Fragen sind, das ist zu vermuten, ziemlich deutsch, etwas verbissen, ideologisch, unpragmatisch. Denn versucht man einmal, mit Abstand die Sache zu betrachten, merkt man schnell: Hildebrandts privates Mauermuseum funktioniert. Es gehört zu den drei bestbesuchten Museen der Stadt, ist Pflichtprogrammpunkt praktisch aller Berlin-Touristen und schlägt in Sachen Besucherzahl und öffentliche Aufmerksamkeit das andere, das staatliche Mauermuseum der Stadt, „Gedenkstätte und Dokumentationszentrum Berliner Mauer“ an der Bernauer Straße, um Längen. Warum aber ist das so – und was sagt uns dies über das öffentliche und private Gedenken an den Mauerfall?
Ein Museum der Gefühle
Ein Besuch in beiden Mauermuseen erklärt die Sache schnell: Das „Haus am Checkpoint Charlie“ ist einfach unschlagbar, es gibt den Menschen, was sie wollen. Hildebrandts Museum ist in vielen die Antithese zu seinem Pendant an der Bernauer Straße: Das Checkpoint-Charlie-Museum ist emotional und sinnlich, international und zentral, leicht verständlich und leicht zugänglich. Es ist pathetisch und ein bisschen verrückt, es ist eindeutig und couragiert.
Mal ehrlich: Was bewegt uns an Geschichte und Politik – es sind Menschen und Gefühle, und wer jemals Besucher durch die Stadt geführt hat, weiß, was sie fast immer am meisten interessiert und rührt: die NS-Zeit und die Mauer. Das „Haus am Checkpoint Charlie“ bedient auf fast schon platte Weise diese Sehnsucht nach Gefühlen. Es ist sinnlich, zeigt unglaubliche Fluchtfahrzeuge und -koffer, erzählt viele kleine Heldentaten, Geschichte wird hier im wahrsten Sinne des Wortes handgreiflich. An der Bernauer Straße dagegen, sorry, dominiert die Distanz eines Historikertraktats.
Im „Haus am Checkpoint Charlie“ herrscht ein internationaler Geist – die Besucher tragen dazu bei, die Tafeln in vier Sprachen ebenso, vor allem aber die Exponate mit ihren Bezügen zur ganzen alle Welt: Nixon und Gandhi kommen vor, Sacharow und Walesa, die unbekannte französische Fluchthelferin und der brave britische Soldat. Touristen aus dem Ausland finden hier auch ein Stück Heimat. Es mag absurd pathetisch sein, wenn Hildebrandt auf die neuen Schautafeln neben den Holzkreuzen schreiben lässt, dies sei der „bedeutendste Platz der freien Welt“. Aber steckt darin nicht ein Funken Wahrheit? Der Checkpoint Charlie gehörte über Jahrzehnte der freien Welt insgesamt, hier hätte sich – schon vergessen? – das Schicksal der ganzen Welt entscheiden können.
Die Bernauer Straße dagegen war immer ein abgelegener Ort, einer für Insider – und atmete nie so sehr den Atem der Geschichte wie der Checkpoint Charlie, wo sich schon sowjetische und US-amerikanische Panzer gegenüberstanden. Das Museum in Kreuzberg erleichtert das Verstehen durch große Bilder, leichte, kurze Texte. Das mag unseriöser sein als kluge Hängetafeln und Hörbeispiele an der Bernauer Straße. Aber versteht man durch sie wirklich mehr?
Das „Haus am Checkpoint Charlie“ ertrinkt fast im Pathos, es ist etwas wirr, vollgestopft mit Exponaten und ein wenig verrückt – aber man merkt, dass die Hildebrandts hier mit Herzblut ein Museum machten, es hat einen menschlichen Ton. Man kann dies mit Worten wie „Disneyland“ oder „amerikanisch“ diskreditieren. Aber wäre das ernsthaft eine Beleidigung?
Schließlich ist das Museum am Checkpoint Charlie eindeutiger und couragierter in seiner Aussage als das Pendant im Wedding. An der Bernauer Straße wird die Monstrosität der Mauer und das Verbrecherische des DDR-Regimes kaum deutlich – nicht zuletzt wegen des absurd kurzen Mauerstücks, das dort noch aufwändig in ein nicht funktionierendes Kunstwerk integriert wurde. Das „Haus am Checkpoint Charlie“ dagegen hat Mut zur klaren Aussage: Dort war ein Unrechtsstaat, der seine Untertanen einmauerte. Vergesst die humanistisch-sozialistische Propaganda, die dies zu vertuschen suchte!
Wo die Politik versagt hat
So erklärt sich endlich auch, wie das Debakel um den privaten Holzkreuzwald der Witwe Hildebrandt geschehen konnte – und was daraus für das öffentliche Gedenken gelernt werden könnte: Alexandra Hildebrandt konnte mit ihrer peinlichen „Kunstaktion“ im umfassenden Sinne des Wortes eine Lücke, ein Vakuum füllen, für das Staat und Land seit dem Mauerfall gesorgt hatten, weil ihr offizielles Gedenken blutleer, krampfhaft und verkopft war. So wie die Mauer Anfang der 90er Jahre in Windeseile fast vollständig aus dem Stadtbild entsorgt wurde, so hat die Politik 15 Jahre lang die Erinnerung an den Skandal und das Drama der Mauer beinahe vergessen gemacht, bestenfalls pflichtgemäß verwaltet. Hildebrandt ist eine Überzeugungstäterin, sie will das Gegenteil. Ihre Kreuze am Checkpoint Charlie werden noch lange stehen.
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