: John Schehr und Genossen
Leerstelle (18): Um die Danziger Straße lässt sich ein kommunistisches Widerstandsquartier besichtigen – schon mal den Straßennamen nach
Schweres hat das deutsche Volk durchgemacht, doch das Schwerste steht uns noch bevor.
Wilhelm Pieck, 1933
John Schehr (geboren 1896 in Altona) war Preußischer Landtagsabgeordneter und Reichstagsabgeordneter der KPD, nach Thälmanns Verhaftung von April bis November 1933 Chef der Partei im Untergrund gewesen, und wurde am 1. Februar 1934 am Wannsee von der Gestapo ins Genick geschossen. 40 Jahre später belieh der Magistrat der DDR-Hauptstadt die ehemalige Kurische Straße zwischen Greifswalder und Kniprodestraße (vorübergehend Artur-Becker-Straße) mit seinem Namen. Zur Erholung wurde zwei Straßen weiter auf einem Trümmerhaufen der Volkspark Anton Saefkow angelegt; nach dem Neuköllner Körnerpark der kleinste in Berlin.
Es geht durch die Nacht. Die Nacht ist kalt. / Der Fahrer bremst. Sie halten im Wald. / Zehn Mann geheime Staatspolizei. / Vier Kommunisten sitzen dabei.
„John Schehr und Genossen“ heißt ein Gedicht des Dichters Erich Weinert, der auch eine Straße hat im Bezirk, und von dem heute kaum jemand weiß, wer er war. Da geht es ihm wie Saefkow, Schehr, Schönhaar, Schwarz und weiteren Genossen im Widerstandsquartier nördlich wie südlich der Danziger Straße (vorübergehend Dimitroffstraße).
Solche Namen bürgen, wenn nicht für Qualität, für Resistenz; Letztere lässt sich finden in leicht ruinierter Gestalt (siehe Bild). Das ruinös Verschachtelte (die Hofschlitze rechts und links in den Brandmauern) bildet mit der Melange aus Graffiti und Druckbuchstaben älteren Datums die beunruhigende Konsistenz dieses Flecks Vergangenheit in der Gegenwart. Die Kunst macht davor keinen Halt.
„Fluchtweg offenhalten“ ist ein Bild der Fotografin Ute Mahler betitelt; es hat unter Fachleuten Berühmtheit erlangt, und es zeigt den nämlichen Ort aus nach links verschobener Perspektive. Zu sehen ist ein fliehendes Model in der Bewegung nach rechts hinten auf eine der Garagentüren zu. Ob sich dahinter ein Zitat des „auf der Flucht“ erschossenen John Schehr verbirgt, muss hier offen bleiben.
Offen auch steht das mit schweren Toren einmal verhangene Gelände; offen wie ein Schlund ins Unangenehme zeigt sich der Hintergrund des rissigen Baus. Ein Dutzend Privatiers hält seine Kraftwagen drinnen. Zwar stehen die früheren Werkzeugstuben beidseits der tempelartig überbauten Einfahrt jetzt leer, zwar wirbt „Tag und Nacht bewachter Parkplatz“ mit falscher Versprechung, und auch „Motemol – DAS REIN DEUTSCHE MOTORENÖL“ kann niemand mehr nutzen. Doch gerade das macht den Platz zum typischen unter den verbliebenen solch byzantinischer Verworfenheit, wie sie vor allem der Osten Berlins seit 1945 unentwegt produziert.
Genau genommen produziert hier die Vergangenheit, die weniger bewältigte, und von Mühe kann reden, wer solche Orte noch auffinden kann im mehr und mehr sanierten Berlin. In der – nicht nur von Fachleuten – als hannoverisiert erkannten Hauptstadt, die, wie es aussieht, der übernächsten Generation als Potemkin’sche Fassadenstätte erscheinen wird.
Dagegen ist das Lebendige solchen Verfalls wie des vorliegenden die Hoffnung. Sogar Versteck spielen lässt sich hier. Wenn es auch keine Illegalen oder Mannequins sind, wenigstens Kinder haben unter den Flüchen der Autoschrauber einen Abenteuerspielplatz von beschränkter Haltbarkeit, und, ja, auch der Widerstand formuliert sich in Floskeln wie der rot gesprühten: „Wir wollen keine . nein wollen wir nicht.“ (Nicht im Bild.)
Was es auch ist, das nicht Gewollte, es wird sich doch beziehen (nehmen wir an) auf Abriss und Umbau dieser Leerstelle der Stadtbezirksgeschichte Prenzlauer Berg. Der Kurische Platz, der bis 1974 an dieser Stelle dem Viertel seinen Namen gab – Kurische Nehrung unter Anwohnern geheißen –, ist verschwunden. Verschwunden unter dem Namen des Widerstands wie die Straßen-, respektive Städtenamen des ehemaligen Ostpreußen, die schon in der übernächsten Generation wieder auftauchen werden in der „Euroregion Prussia“, wenn es in den Grenzen der EU keine Rolle mehr spielt, wer sich mit welchem Geld die Geschichte zurückkauft.
Wir wollen keine Preußen, nein! (Wir wollen lieber Models sein.) THOMAS MARTIN
Franziska Hauser (Fotos) und Thomas Martin (Text) beschäftigen sich an dieser Stelle vierzehntäglich mit den Nebenstellen des Lebens in Berlin