Menschen, Mauern, Mut

Berlin denkt zwischen gestern und morgen. Von der Teilung muss mehr als ein Betonstück bleiben. Die Hauptstadt braucht ein gemeinsames Konzept zur Erinnerung an das, was man nicht mehr sieht

VON SIBYLL KLOTZ

Berlin erwächst als Hauptstadt (!) eine besondere Verantwortung im Umgang mit Geschichte. Einer äußerst wechselhaften Geschichte – welcher Tag macht dies deutlicher als der 9. November? Zu den oft zitierten Wahrheiten gehört auch der Satz: Wer seine Geschichte nicht kennt, hat auch keine Zukunft. In Berlin wird diese Wahrheit konkret: Von hier aus steuerten die Nazis den Völkermord an den Juden, hier war die Teilung Berlins direkt erlebbar.

TouristInnen aus Ost und West kommen auch nach Berlin, um deutsche Geschichte zu (be)greifen. Hier ist der Ort, an dem am ehesten so etwas wie eine gemeinsame Identität entstehen kann, in der die Erinnerung an die Verbrechen der Vergangenheit ihren Platz hat. Berlin hat jedoch immer noch kein Konzept, wie an die Teilung der Stadt erinnert, der Opfer gedacht werden soll.

Die neu aufgestellten Holzkreuze am Checkpoint Charlie zeigen, wohin dieses Versäumnis führt: An einem für die Geschichte der geteilten Stadt zentralen Ort herrscht ein wildes Durcheinander von Jahrmarktbuden, Straßenhändlern und Erinnerungskitsch. Dabei sollte gerade dieser Platz als authentischer Erinnerungsort gestaltet werden – mit sachgerechten Informationen darüber, was wirklich an dieser Stelle geschah.

Die Verantwortung dafür muss in öffentlicher Hand bleiben. Der Streit um die Kreuze beweist, dass die Erinnerung an die Mauer nicht privatisiert werden darf. Ob darüber hinaus eine zentrale Mauer-Gedenkstätte am Brandenburger Tor diesen Ort nicht überfrachtet, daran darf zumindest berechtigt Zweifel angemeldet werden. Richtig ist dennoch: BerlinerInnen und Touristen suchen im Herzen der Stadt nach den Spuren der Teilung. An der Kreuzung Friedrichstraße/Zimmerstraße standen sich russische und amerikanische Panzer gegenüber, an dieser Kreuzung wurde Geschichte geschrieben. Weil es ein Schauplatz der Weltgeschichte ist, strömen die Menschen zu dieser Kreuzung – und nicht wegen der dort verkauften russischen Pelzmützen, wie der Regierende Bürgermeister meint.

Der Verlauf der innerstädtischen Mauer muss endlich durchgängig und sichtbar markiert werden. Viel zu oft bleibt die Frage nicht nur von BerlinbesucherInnen, wo die Mauer gestanden hat, unbeantwortet. Die Gedenkstätte an der Bernauer Straße muss umgestaltet werden. Der künstlerische Umgang wird der Anforderung, die Erinnerung an die Mauer lebendig zu halten, nicht gerecht. An der Bernauer Straße könnte exemplarisch die tatsächliche Situation an der Grenze dokumentiert und erklärt werden, weil noch die originalen Grenzbefestigungsanlagen vorhanden sind. Das käme einem würdigen Erinnerungsort näher als eine Art Pappmaché-Mauer am Checkpoint Charlie.

SIBYLL KLOTZ (43) ist Fraktionssprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus