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Archiv-Artikel

Endrunde oder Exodus?

Die Bremer Kulturhauptstadt-Bewerbung umfasst die beiden Bände „Was Bremen ist“ und „Was Bremen will“. Die taz bat Katrin Rabus und Robert Bücking, die Bewerbungsschrift zu rezensieren

So komplex montiert, dass man Zutrauen bekommt zu den Ambitionen dieser Bewerbung

Kulturhauptstadt ist kein Thema in der Stadt. Vier Monate nach Erscheinen der Bewerbungsschrift für die Kulturhauptstadt 2010 vermisst der künstlerische Intendant Martin Heller eine inhaltliche Auseinandersetzung mit seinem Konzept.

Das Schweigen der Kulturszene ist die Folge eines gravierenden Kommunikationsdefizits, das nicht einseitig der Szene anzulasten, sondern Ausdruck der politischen Gemengelage ist. Die Bewerbung geht einher mit einer immer wieder politisch angedrohten Umstrukturierung der Kulturförderung.

Martin Heller spricht sich ebenfalls für „Umbau“ aus, ohne seine Kriterien klar zu benennen und ohne sich mit der vorhandenen Substanz auseinandergesetzt zu haben. Er ist somit an der abwartenden Haltung der Szene nicht unschuldig und hat offensichtlich bisher eine inhaltliche Debatte mit der Bremer Kulturszene über die vorgestellten Leitthemen nicht gesucht.

Stattdessen wurde die Stadt mit Koggefahrt, Rolandfest und Stadtmusikanten animiert. Hinweise auf ein zukünftiges allgemeines „Weltspiel“ müssen in der Kulturszene für Kopfschütteln sorgen angesichts von 280.000.-Euro (S.91, von 600.000.- Euro insgesamt), die allein für die Administration einer solch simplen Idee verbraucht werden.

Aber nehmen wir die Bewerbungsschrift selbst, eine 2,5 kg schwere Publikation, die mit 450 Seiten nicht gerade zum Lesen einlädt. Im ersten Band – Was Bremen ist – finden sich zahlreiche Informationen und liebenswerte Vollmundigkeiten. Die Schrift bietet in Stil und Inhalt eine gute Basis, um für die Stadt zu werben.

Ganz anders der zweite Band – Was Bremen will. Hier wimmelt es von Visionen, Zielen, Leitthemen, Programmen, Ideen: ein Potpourri von Begriffen, optisch und inhaltlich verwirrend und in sich widersprüchlich, dazwischen Weisheiten aus Kindermund, um zu verbergen, dass folgende Fragen nicht gestellt werden: Was hält eine Stadt zusammen, wenn Sozialabbau, Arbeitslosigkeit, demographische Veränderungen die Menschen verunsichern? Wie muss sich Kultur in einen solchen Prozess einbringen? Was kann Bremen beispielhaft für andere Kommunen Europa mitteilen? „Western war gestern“ klingt flott, ist aber die falsche Botschaft (offizieller Werbeprospekt).

Kein Wunder, dass man das Buch schnell beiseite legt. Wortgeklingel verbirgt aber Brisanz im Einzelfall. Will man wissen, was politisch geplant ist, sollte man die Lektüre genauer nehmen, auch Sonntagsreden sind nicht zu unterschätzen. Zu den peinlichsten „Visionen“ gehört sicherlich, dass alle Akteure einer Kulturhauptstadt „bedingungslos am selben Strick ziehen müssen“, wofür der Bürgersinn in Bremen „ebenso gute Voraussetzungen bietet wie die politische Stabilität“ ( S.9). Das ist der ewige Traum politischer Großkoalitionäre, die mit überholten Instrumenten auch den letzten Rest von Eigensinn und Widerspruch für ihr Gesellschaftsbild in Dienst nehmen wollen. So verstanden, können Kunst und Kultur keine Reibung, Widersprüche und Vielfalt entfalten, es fehlt der streitige Wettbewerb um die besten Ideen – Kultur bleibt Repräsentation. Nicht von ungefähr fehlt ja auch ein Hinweis auf die Mediensituation in Bremen – kritischer Journalismus wird immer öfter durch “Medienpartnerschaft“ ersetzt.

Beim Leitthema Zivilgesellschaft fehlt kritische Distanz. Das so oft beschworene zivilgesellschaftliche Engagement beruht in Bremen auf der Tradition des 19. Jahrhunderts – teils korporativ, teils obrigkeitsstaatlich. Wohlgelitten, wenn mit Geld verbunden, ausgegrenzt, wenn zu kritisch. Wie müsste es sich weiterentwickeln? „Schnelles Handeln“ versus „demokratische Prozesse“ (S.61) stimmt bedenklich.

Die Rolle von Künstlern und Intellektuellen und ihren Milieus wird in der Schrift hoch bewertet und die ökonomische Indienstnahme der Kultur zu Recht kritisiert. Aber da völlig offen ist, welche der aufgeführten Projekte realisiert werden sollen, erübrigt sich eine Bewertung unter diesem Aspekt. Vielfalt soll Offenheit suggerieren. In Wirklichkeit fehlen dem Verfahren Transparenz und Fachlichkeit. Der engere Bereich der Künste – eine wesentliche Quelle für Kultur – ist unterrepräsentiert, eine Wertediskussion wird vermieden.

Mögliche Hoffnungen angesichts der Bewerbung sind eingeholt von der Realität des kulturpolitischen Masterplans, der den Kurs festlegt, finanziell gnadenlos und politisch autoritär. Partizipation, Zivilgesellschaft – Pustekuchen, nicht für die Kultur. Das Meer sei Bremen abhanden gekommen, stellte Martin Heller kurz nach seiner Ankunft fest. Sollte der leere Tanker auf dem Titelbild das letzte Schiff sein für Künstler und Kultursinnige, die Stadt zu verlassen, wenn die neuesten Szenarien Wirklichkeit werden? Ist Kulturhauptstadt 2010 zu diesem Preis erstrebenswert? Katrin Rabus

Sympathischer wurde Bremen selten porträtiert: Souverän, mit inniger Ironie, der feinen Qualitäten unserer Stadt bewusst. Das ist wohltuend – besser als die klassische Marketing-Kost. Die dringliche Kritik ist elegant in der Verkündung guter Absichten verpackt. Rücksichtslose Ehrlichkeit ist vielleicht ein bisschen viel verlangt. Es finden sich Andeutungen. Immerhin.

Der Text ist pointiert und brüchig. Dem Leser wird nicht zugemutet Schwarzes für Weiß zu halten. Bild und Text sind so komplex montiert, dass man ein Zutrauen bekommt zu den Ambitionen dieser Bewerbung und dieser Stadt.

„Was Bremen will“: Dieser Band ist schütterer und verweigert die Bilder. Er ist mit dünnem Strich illustriert. Der rote Faden ist sichtlich noch nicht zu Ende gesponnen. Die sechs Leitthemen sprechen die Felder an, auf denen die Mobilisierung der Ressource Kultur Bremen verändern könnte.

Jedesmal geht es darum, die Produktivität der kulturellen Arbeit für die Entfaltung der Potentiale und die Überwindung der Strukturkrisen der Stadt herauszustellen. Dabei stemmt sich die Argumentation wo sie kann gegen den üblichen Ökonomismus. Das ist ein Gewinn.

Mit dem Weltspiel ruft das Team von Bewerbungsintendant Martin Heller zum großen Nachdenken, Vorschlagen, Verknüpfen auf. Bremen im Weltzusammenhang: Es ist dies ein Aufruf, und unvermeidlich verstört er jeden, dessen Wortmeldung in diesem Sinn in der Vergangenheit systematisch übergangen wurde. Man kann das aber auch als große Einladung lesen. Als eine ganz angemessene, weit über die kulturellen Spezialisten hinausgreifende Mobilisierung der Bürgerinnen und Bürger. Wie es ausgeht und ob die Mobilisierung auf diese Weise gelingt, wird sich zeigen. Richtung Brüssel ist es ein kluges Zeichen. Die Stadtrepublik soll leben.

Bremen kommt in die Endrunde, viel mehr kann man auf den ersten Blick von einer Bewerbungsschrift, die ja ein glaubhaftes Versprechen sein muss und die sich gegen die Konkurrenz durchsetzen will, nicht verlangen. Martin Heller und sein Team mussten gleichzeitig drei Mühlsteine bewegen: Heller musste die politisch-ökonomische Elite der Stadt dafür gewinnen, das Projekt zu unterstützen. Er musste mit Traditionen brechen und einen wirklich neuen Diskurs eröffnen. Wobei die Herrschaften sicher ahnten, dass dieses Projekt eine eigene Dynamik entwickeln kann, die keineswegs bruchlos in die klassische Agenda von Handelskammer und Rathaus passt.

Heller musste die deutschen und europäischen Institutionen und die kulturelle Öffentlichkeit der Republik von Bremens Eignung überzeugen. Wissend, dass dort vermutlich kein einziger Bremer Kultursenator in den letzten Jahrzehnten mit Grandezza aufgefallen ist. Und schließlich muss er die Kulturproduzenten in Bremen mobilisieren, qualifizieren, ertüchtigen und europäisieren. Wissend, dass in der Vergangenheit vorwiegend Selbstbeschränkung, Berichtswesen und Antragskunst gefördert wurden.

Natürlich steht die Bewerbung im Zusammenhang der Sanierungspolitik der letzten zehn Jahre. Geplant als Abschluss-Party und Tourismus-Highlight wird sie jetzt in den Strudel der Schlussabrechnungen der Sanierungszahlungen geraten. Beim Geld hört der Spaß bekanntlich auf. Die gut 120 Millionen Euro für die Kulturhauptstadt können nicht gleichzeitig in die Uni Wildnis, die Osterholzer Feldmark und die nächste Stützungsrunde für den Space Park investiert werden. Die Debatte auf der denkwürdigen Staatsräte-Sitzung, auf der Investitionsprojekte auf die Hälfte eingedampft werden sollten, kann man sich unschwer ausmalen. Gewiss würde mancher Heller am liebsten eine Fahrkarte nach Zürich spendieren.

In solcher Lage spricht nun alles dafür, mit ganzer Kraft zum Gelingen der Bewerbung beizutragen, statt sich mit Schauder abzuwenden. Es kann gut sein, dass der in dieser Bewerbung mobilisierte Eigensinn der Stadt eines Tages einer der wenigen Auftriebskörper ist, an den sich unser kleines Gemeinwesen, unter dramatisch bescheideneren Bedingungen, klammern kann.

Robert Bücking