„Daraus ergibt sich kein Kürzungszwang“

Verfassungsrechtler Christian Pestalozza fordert vom Senat eine richtige Interpretation des Verfassungsgerichtsurteils. Das heißt, das Land soll ein Gesamtkonzept seines Haushalts liefern und nicht willkürlich Sparmaßnahmen einleiten

taz: Herr Pestalozza, der Senat begründet immer mehr Sparmaßnahmen mit dem Urteil des Landesverfassungsgerichts. Ist das gerechtfertigt?

Christian Pestalozza: Nein. Ich war schon etwas erschüttert zu hören, dass der Regierende Bürgermeister jetzt zum Beispiel gesagt haben soll, nach dem Urteil stehe ein bisher subventioniertes Orchester vor dem Aus – so als ob das Urteil dafür maßgebend wäre. In Wirklichkeit hat der Landesverfassungsgerichtshof nur gesagt, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört sei. Und dass deshalb das Land von der Verfassungsregel habe abweichen können, mehr Schulden aufzunehmen, als es für Investitionen ausgibt; dass der Haushalt aber dennoch verfassungswidrig sei, weil im Gesetzgebungsverfahren kein Konzept dafür vorgelegt worden ist, dass man sich um die Beseitigung der Störung bemühe.

Was wäre nun zu tun?

Für den laufenden Haushalt könnte das vom Gericht vermisste Konzept nachgeliefert werden, und für den folgenden könnte ein neues vorbereitet werden. Dabei muss auch dargelegt wird, dass die Gleichgewichtsstörung andauert.

In diesem Fall müsste der Gesetzgeber doch genau sagen, wie die Ausgaben genutzt werden, um die Störung des Gleichgewichts zu beseitigen.

Richtig. Dabei setzt der Verfassungsgerichtshof voraus, dass sich eine solche Störung mit den Mitteln des Landes überhaupt bekämpfen lässt. Das wird sicher von manchen anders gesehen.

Das Gericht hat gesagt, das Land könnte sich auf die Haushaltsnotlage berufen. Dann dürfte es aber nur Ausgaben tätigen, die bundesrechtlich oder verfassungsrechtlich geboten seien. Begründet dies nicht den Sparzwang?

Nicht ohne weiteres. Das Gericht hat offen gelassen, ob eine extreme Haushaltsnotlage im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorliegt, dies ist Sache des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe. Das Gericht sagte nur, wenn eine Notlage vorläge, hätte der Gesetzgeber seinen Haushalt mit einem Gesamtkonzept begründen müssen. Allerdings unterstellt der Verfassungsgerichtshof dabei, dass auch eine solche extreme Haushaltsnotlage – bei entsprechender Begründung im Gesetzgebungsverfahren – in der Lage ist, die Überschreitung der Kreditobergrenze zu rechtfertigen. Gleichgültig, ob man dies für richtig hält oder nicht – ich tue das nicht–, ein allgemeiner Kürzungszwang, für den man das Gericht verantwortlich machen könnte, ergibt sich daraus keineswegs.

Was sollte der Senat beim Haushalt beachten?

Was immer er kürzt oder subventioniert, dem Haushalt muss ein Gesamtkonzept zugrunde gelegt und im Gesetzgebungsverfahren offengelegt werden. Wo er kürzt oder strafft, das ist im Rahmen bindender rechtlicher Vorgaben allein eine politische Entscheidung des Gesetzgebers.

Interview: RICHARD ROTHER