theater
: Heuchelei, grotesk inszeniert

Das Rheinland hat einen neuen Star: Er heißt Tartuffe und ist 340 Jahre alt. Nach dem Theater der Keller und den Kammerspielen Bonn hat das Kölner Schauspiel Molières scheinheiligen Betbruder auf den Spielplan gehoben. Tartuffe geht im Rheinland in Serie – warum? Mag sein, dass Stücke zum Thema Heuchelei und Verblendung hochaktuell sind, aber ist das Grund genug für so viel Eintönigkeit im Spielplan?

Egal, Tartuffe, 3. Runde. Nicht als Salonstück wie im „Keller“, nicht als gefälliger Versklassiker wie in Bonn. Albrecht Hirches Inszenierung ist Groteske und Veitstanz. Vieles bleibt unklar: Wo und wann spielt das Stück? Alain Rappaports Bühne zeigt ein Bürgerhaus ohne Bodenhaftung: Eine blütenweiße Kulisse mit Schnörkelornamenten hängt ein paar Meter über plüschigen Sofas und güldenen Kaffeehauslämpchen. Ist das nun Barock oder Wirtschaftswunder? Auch die Figuren lassen sich nicht einordnen: Die Familie Orgon spricht eine hybride Sprache aus Versanklängen und eindeutig modernen Floskeln, ihre Kleidung changiert zwischen unspektakulärem Heute und pseudo-barocker Übertreibung (Halloween-Transe auf Rollschuhen: Dirk Lange als Madame Pernelle).

Titelheld Tartuffe (etwas blass: Michael Altmann) ist der Outlaw, der alles durcheinanderbringt: Ein Alt-Freak in Leopardenmantel und Fliegermütze, ein Clochard in Jeans und Turnschuhen, den Vater Orgon (in Ordnung: Markus John) zwecks geistiger Erneuerung bei sich aufgenommen hat und der ihm zum Dank das Vermögen abschmeichelt und sich an Frau des Hauses heranmacht. Sein sanftes Getue spaltet die Familie in Tartuffe-Gläubige und -Gegner: Im Gedächtnis bleibt eine Prügelszene zwischen Vater und Sohn, die mit Verletzung und Vertreibung des Sohnes endet – äußeres Zeichen dafür, zu welchen Taten blinder Glaube fähig ist. Auch die vielen grotesken Elemente der Aufführung (Affentänze, Jagdorchester, Monsterperücken) haben ihren plakativen Sinn, stehen sie doch für den grotesken Fanatismus, der das Haus ergriffen hat.

So ist Hirches Inszenierung stimmig im Ganzen, schwach dagegen im Einzelnen: Wo sie ironisch sein will, ist sie platt, wo sie lustig sein will, wanzt sie sich ans Publikum heran, wo sie ernst ist, gleitet sie ins Trauerspiel. Vom Subtilen und Frivolen eines Molière keine Spur. Originell und beängstigend zeitgemäß aber der Schluss: Nicht der König, der Staat löst den Konflikt – der die Guten belohnt, die Bösen bestraft, der alles sieht. Allem Diffusem zum Trotz überzeugt die Inszenierung durch ihren provokanten Blick, auch wenn mancher Einfall in den Zähnen schmerzt. Holger Möhlmann

„Tartuffe“: Schauspiel Köln, Offenbachplatz, Tel. 221-28 400, 12., 15., 19., 28.11., jeweils 19.30 Uhr