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Archiv-Artikel

Spanien baut Spekulations-Blasen

Die spanische Bauwirtschaft boomt trotz mehr als 100.000 leer stehender Wohnungen allein in der Hauptstadt.Der Kauf einfallsloser Wohnblocks treibt auch kleine Leute in die Verschuldung – und in den Ruin, sobald die Zinsen steigen

aus Madrid REINER WANDLER

Gälte es, ein Wahrzeichen für das heutige Spanien zu wählen, würde es sicher weder ein Stier noch eine Flamenco-Tänzerin, sondern ein Baukran. Denn die Bauwirtschaft sorgt für ein Wirtschaftswachstum, das seit Jahren mindestens einen Prozentpunkt über dem europäischen Schnitt liegt. 870.000 neue Arbeitsplätze entstanden in den letzten sieben Jahren.

Der Motor ist die spanische Hauptstadt. Nach Berlin ist Madrid die europäische Metropole, in der am meisten gebaut wird. Während die deutsche Hauptstadt eine neue, prunkvolle Identität sucht, drehen sich in Madrid die Kräne nicht etwa, um die Stadt für die Olympia-Kandidatur 2012 herauszuputzen. Was gebaut wird, sind einfallslose Wohnblocks, irgendwo am öden Stadtrand entlang der 900 Kilometer Schnellstraßen. 28 Neubaugebiete sind ausgeschrieben und vergeben.

Das Geschäft mit dem Wohnraum ist lukrativer als jede andere Investition. Seit 1997 haben sich die Quadratmeterpreise im Landesschnitt verdoppelt. Spanien war einst als europäischer Schnäppchenmarkt für Wohnungen bekannt. Jetzt gehören die großen Städte des Landes zu den teuersten Europas. Und die Nachfrage steigt weiter. Jährlich entstehen über eine halbe Million neue Wohnungen. Längst werden sie nicht mehr nur zum Eigenbedarf gekauft – 80 Prozent der Spanier wohnen in einer Eigentumswohnung. Die niedrigen Zinsen von rund 2,5 Prozent – Mitte der 90er waren es noch knapp 9 Prozent – verführen auch immer mehr einfache Leute zum Spekulieren mit Wohnraum.

Bereits jetzt stehen in Madrid über 100.000 Wohnungen leer. Ein Versuch der konservativen Stadtverwaltung, sie teurer zu besteuern und die Besitzer so zum Vermieten zu zwingen, scheiterte am Widerstand der Spitze der Volkspartei (PP) von Regierungschef José María Aznar. Er hat versprochen, die Steuern zu senken, und will dies auf allen Ebenen und zu jedem Preis umgesetzt wissen. Doch was heute noch Geld bringt, kann schon morgen der spanischen Wirtschaft und vielen Kleininvestoren das Genick brechen. Vor wenigen Wochen warnte erstmals die Spanische Zentralbank vor einer Spekulationsblase. Die Wohnungspreise seien restlos überhöht. Eine „jähe Anpassung“ – sprich Preisverfall – drohe. Während die spanische Regierung diese Möglichkeit weit von sich weist, bestätigen Wirtschaftswissenschaftler die Befürchtung.

Die Zahlen sprechen für sich. Bereits heute zahlen die spanischen Haushalte über 40 Prozent ihres Bruttoeinkommens für die Hypothek. Die Gesamtverschuldung spricht noch deutlichere Worte: Die durchschnittliche Familie steht mit 87 Prozent des ihr zur Verfügung stehenden Einkommens bei den Banken in der Kreide. Sobald die Leitzinsen steigen – etwas, was die Europäische Zentralbank längst nicht mehr ausschließen will –, führt so manches private Projekt in den Ruin. Die Nachfrage nach Wohnungen und auch der Konsum, die zwei Motoren der ansonsten eher schwachen spanischen Wirtschaft, brechen dann in sich zusammen.

Was passiert, wenn die Bauwirtschaft ins Stocken gerät, zeigte sich Ende 1992. Der Bauboom, hervorgerufen durch Olympia in Barcelona und die Expo in Sevilla, stoppte schlagartig. Die Arbeitslosenzahlen stiegen förmlich über Nacht dramatisch an, die spanische Wirtschaft rutschte in eine Krise, die fünf Jahre anhalten sollte. Bereits damals hatten viele vor einer Spekulationsblase gewarnt. Und sie sollten Recht behalten. Die Wohnungspreise gaben 8 Prozent nach.