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Archiv-Artikel

Mein Kopf gehört mir

Bei der Nacht der Jugend steht Zukunft im Mittelpunkt. Erinnern? „Hatten wir schon in der Schule.“

Bremen taz■ Wenn die Jugend zu Hunderten ins Rathaus strömt, ist das Durcheinander perfekt: Junge Menschen in Plateauschuhen oder Basketballtretern schieben sich kaugummikauend durch ehrwürdige Hallen, drängen sich unter schweren Lüstern, lärmen unter dem strengen Blick verblichener Bürgermeister. Nein, auch diesmal ist nichts kaputtgegangen, niemand hat sich danebenbenommen: keine Besoffenen, keine Randalierer, keine Nazis. Ein bisschen war es wie in dem Theaterstück, das das Schul-Zentrum Neustadt aufführte – das mit den Machos und Bullen. Jugendliche, größtenteils Migranten, unterhalten sich über die neueste Faust-Inszenierung und diskutieren die Chancen der Kulturhauptstadt Bremen. Bis einer ruft: „Achtung die Bullen kommen“. Schnell werfen sie die Windjacken über, hängen sich Goldketten um und fläzen sich so hin, wie man das von ausländischen Problemkids erwarten darf. Das gestochene Schriftdeutsch weicht der Kanakspraak. Klischee erfüllt, „die Bullen“ sind zufrieden. In zugespitzter Form zeigt dieser Beitrag die Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung von Jugendlichen. Diese Kluft war bei der Nacht der Jugend Mittwochabend allenthalben zu spüren.

Zum Beispiel Nurten Kurnaz vom Hemelinger Hip Hop Projekt 309. Statt vom harten Leben im Ghetto, von Drogen, Sex und Partys zu rappen, variiert sie das Grundgesetz, dass es jedem Sozialkundelehrer Tränen der Rührung in die Augen treiben müsste. „Als Mensch wird’s wohl möglich sein, auf die Würde zu achten, alles aus pädagogisch, politischer Sicht zu betrachten“, heißt es an einer Stelle im Text.

Verkehrte Welt auch, wenn zwei Siebzehnjährige, Bahar und Ailin, aus dem Schulzentrum Walliser Straße erzählen, dass sie gerne das Kopftuch tragen würden – wenn nur die Eltern nicht dagegen wären. Die Theatergruppe ihrer Schule hat eine szenische Darstellung zum Kopftuch vorbereitet. „Wer hat euch das Recht gegeben, mir meinen Glauben wegzunehmen?“ – „Mein Kopf gehört mir“, könnte man das Selbstverständnis der SchülerInnen auf den Punkt bringen, die sich aber durchaus von anderen beeindrucken ließen: Von den Frauen, die im Rahmen des Projekts ausländische Selbstständige in Bremen vorgestellt wurden. „Wir wussten ja, dass es die gibt. Aber das war wichtig, dass die auch mal zu Wort kommen“.

Das Thema Erinnerung war für die meisten SchülerInnen Nebensache: „Hatten wir schon in der Schule“. Den Auftritt von Serdar Somuncu dagegen wollten die wenigsten verpassen. Der hat geschafft, was vielen als unmöglich gilt: Sich über Hitler lustig zu machen, ohne die Geschichte zu verharmlosen. Das gelingt ihm, indem er Hitler selbst sprechen lässt. Er liest aus „Mein Kampf“. Da wimmelt es von sprachlicher Einfalt, Wiederholungen, kruden Gedankengängen und biographischen Halbwahrheiten. „Hitler hat dieses Buch nicht geschrieben, er hat es Rudolf Heß in die Tasten geschrien“, erzählt Somuncu, der detaillierte historische Kenntnisse unter Beweis stellt. Interessant wird es, wenn Somuncu erzählt, wie seine Lesungen auf Neonazis wirken. Die könnten kaum glauben, dass das wirklich „der Führer“ geschrieben haben soll, manche könnten sich aber auch das Lachen nicht verkneifen.

Fritz Schorb