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Archiv-Artikel

„Mein Traum ist dahin“

Ein Gespräch mit der im Exil lebenden kubanischen Journalistin Tania Quintero über die Situation der Opposition in Kuba. Die kubanische Gesellschaft, meint die 61-Jährige, steht vor einer Katastrophe

INTERVIEW KNUT HENKEL

taz: Frau Quintero, wann fiel Ihre Entscheidung, ins Ausland zu gehen?

Tania Quintero: Das war Mitte Juni 2003, als ich einen Brief von Raúl Rivero [Gründer der unabhängigen Nachrichtenagentur Cuba Press, d. Red.] aus dem Gefängnis in Ciego de Avila bekam. Er riet uns, das Land zu verlassen. Ende November 2003 habe ich gemeinsam mit meiner Tochter und meiner Enkelin das Land verlassen.

Ihr Sohn lebt und arbeitet also nach wie vor in Kuba?

Ja, er schreibt weiterhin für die Internet-Plattform Cubanet und verdient 25 US-Dollar pro Artikel. Es gibt immer noch unabhängige Journalisten in Kuba, auch wenn viele im Gefängnis sitzen und andere aufgegeben haben. Und es gibt auch noch gute Schriftsteller, wie Leonardo Padura, in Kuba.

Bis 1991 haben Sie für staatliche kubanische Fernsehen gearbeitet. Warum danach nicht mehr?

Am 8. März 1991 wurde mein Sohn von der Polizei nach Hause gebracht. Die Staatssicherheitspolizei beschuldigte ihn der feindlichen Propaganda. Er und drei weitere Jugendliche hatten einige Briefe geschrieben, die sich gegen die Regierung richteten. Damals war der Einfluss der Perestroika von Gorbatschow in Kuba beachtlich und auch der Fall der Berliner Mauer hatte viel Aufsehen erregt. Es gab eine Aufbruchstimmung, und der Wunsch nach Veränderung wurde auch formuliert.

Hatte die Verhaftung direkte Folgen für Sie?

Ja, ich durfte nicht mehr arbeiten. Ich erhielt mein Gehalt, aber alle meine Reportagevorschläge wurden abgelehnt. Ich galt nicht mehr als vertrauenswürdig. Mein Name stand auf einer schwarzen Liste. 1995 stieß ich dann zum Kreis von Raúl Rivero, der dabei war, eine unabhängige Nachrichtenagentur aufzubauen. Raúl Rivero wurde zu einem engen Freund von uns, und noch kurz vor seiner Verhaftung habe ich mit ihm telefoniert.

Haben Sie Informationen über die Haftbedingungen von Raúl Rivero und der anderen Journalisten?

Den letzten Informationen zufolge ist Raúl Riveros Gesundheit angeschlagen. Er leidet unter Nierenproblemen und auch seine Lunge ist nicht in Ordnung, was eine Folge der Haftbedingungen ist.

Sie stammen aus einer Familie, die für die Revolution kämpfte?

Für mich war die kubanische Revolution ein großer Traum. Mein Vater war Leibwächter des sozialistischen Politikers Blas Roca, und wir setzen große Hoffnungen in die erfolgreiche Revolution. Einige wurden auch erfüllt, vor allem jene im sozialen Bereich. Hierzu gehört die Alphabetisierung, an der ich selbst als Lehrerin teilnahm, die Agrarreform, die Gesundheitsversorgung, die wissenschaftliche Ausbildung und so weiter. Allerdings fehlt es heute an Ressourcen, um Gesundheitsversorgung und Bildungssystem auf dem hohen Niveau zu halten.

Sehen Sie einen Ausweg aus dieser Situation?

Die kubanische Gesellschaft steuert auf eine große Katastrophe zu, wenn sich an der Haltung der Regierung nichts ändert. Die Funktionäre um Fidel Castro wissen, wie brisant die Situation ist, aber sie schweigen. Wenn die Kommunistische Partei Kubas so stark ist, weshalb kann sie dann nicht eine oppositionelle Partei neben sich dulden? Weshalb sich Fidel Castro so vehement gegen diese Option wehrt, kann ich Ihnen auch nicht sagen, denn dass er nicht mehr allzu lange regieren wird, ist doch unstrittig.

Tania Quintero, 61, ist Gast einer Veranstaltung der drei Schweizer PEN-Zentren zum heutigen „Writers in Prison“-Tag in Zürich. Das Thema ist die Situation der Schreibenden in Kuba. 2003 wurden rund 100 Journalisten, Oppositionelle und Menschenrechtsvertreter festgenommen und 75 von ihnen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. In den staatlichen kubanischen Medien werden sie bis heute als „Söldner im Auftrag der USA“ bezeichnetet.