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Archiv-Artikel

Nur unter Polizeischutz

Hamburger Delegation in Afghanistan: Anwälte und Flüchtlingshelfer warnen vor anhaltender Gewalt in dem kriegszerstörten Land. Abschiebungen „verfrüht“

Latifa Kühn ist 37 Jahre alt und Hamburgerin. Anfang November hat die gebürtige Afghanin erstmals ihr Herkunftsland besucht, seit sie vor 34 Jahren von dort fliehen musste. „Afghanistan spielte sich seither in unserem Wohnzimmer ab“, sagt Kühn, „das war eine Idylle.“ Was sie jetzt in der Hauptstadt Kabul sah, traf sie darum wie „ein Schock: Frauen in Burkas, grassierende Armut, Mangel an Trinkwasser und Strom“. Rückkehr kommt für die Bundeswehruni-Dozentin, der in Kabul Jobs in Regierung und NGOs winkten, nicht infrage: „Ich könnte mich als Frau dort nicht frei bewegen.“ Zudem funktioniere das Leben nur über Beziehungen: „Auf seine eigene Person reduziert, ist man in Afghanistan ohne Schutz.“

Am Mittwoch treffen sich die deutschen Innenminister, um eine Verlängerung des Abschiebestopps in das kriegszerstörte Land zu beraten. Der CDU-Senat in Hamburg, wo mit rund 17.000 bundesweit die meisten Afghanen leben, will sie schnellstmöglich aus dem Land haben. Kühn kann das Treffen zwar ruhig erwarten, da sie einen sicheren Aufenthaltstatus genießt. Bangen müssen aber Tausende ihrer Landsleute, deren Abschiebung die hiesige Innenbehörde nur ausgesetzt hat. Mit einer Hamburger Delegation aus Juristen und Flüchtlingshelfern war Kühn in Kabul, um die Lage zu prüfen. Fazit: „Abschiebungen sind zurzeit absolut verfrüht.“

Die Delegation traf an dem Tag in Kabul ein, als dort drei UN-Mitarbeiter entführt wurden. Kurz zuvor hatte ein Selbstmordattentäter zwei Menschen mit in den Tod gerissen. „Wir durften uns nur mit einem bewaffneten Polizisten bewegen“, berichtet Bernhard Karimi vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Von afghanischen Staatssekretären und deutschen Diplomaten erfuhr er, dass es außer für Hochqualifizierte „keinen Arbeitsmarkt im Land gibt“. Zugleich habe sich die Sicherheitslage weiter verschärft, Menschenrechtsverletzungen prägten den Alltag. Frauen treffe es besonders, warnt Anwältin Erna Hepp. Höchstens vier Prozent könnten lesen. Aus finanzieller Not verkauften immer wieder Eltern ihre Töchter an Warlords.

Gleichwohl sollen hiesige Afghanen ihre Sachen packen. Wie die Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Kirche, Fanny Dethloff, berichtet, „hat uns die Innenbehörde signalsiert, dass der Abschiebestopp bis zum Frühjahr verlängert wird“. Zugleich stehe die Einigung auf eine Bleiberechtsreglung bevor. Gemeint ist ein Vorschlag von Rot-Grün in Schleswig-Holstein, langjährig hier Geduldeten festen Aufenthalt zu gewähren. „Die Zustimmung kostet Hamburg nichts“, so Dethloff. Denn unter die Regel fällt nur, wer einen festen Job hat. Durchs Netz rutschen Dethloff zufolge mindestens 6.000 Menschen, die wegen ihres Duldungstatus gar nicht arbeiten dürfen. Eva Weikert