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Archiv-Artikel

Krebsvorsorge: „heikle Bilanzen“

„Früherkennung hilft heilen?“ Von wegen, sagt Autor Klaus Koch. Heute ist er in Bremen

taz: Als Autor des kritischen Buches „Mythos Krebsvorsorge“ räumen Sie auf mit der Vorstellung, dass die Krebsvorsorge eine einfache und hilfreiche Maßnahme wäre, um uns länger am Leben zu erhalten. Den Slogan „Früherkennung hilft heilen“ finden Sie irreführend. Warum?Klaus Koch: Die Hoffnung, dass Früherkennung heilen kann, wird übertrieben optimistisch dargestellt. Zugleich wird öffentlich nichts anderes diskutiert – obwohl Früherkennung auch Schäden verursachen kann. Der schwerwiegendste Schaden ist, dass Tumoren entdeckt werden, die nie bemerkt würden, hätte man nicht nach ihnen gesucht. Aber wenn sie erstmal aufgefallen sind, dann kriegen die Patienten eine Krebsdiagnose angeheftet und meist werden sie auch behandelt, als hätten sie einen aggressiven Tumor. Hinzu kommt, dass längst nicht für alle Früherkennungsmethoden bewiesen ist, dass sie heilen helfen.

Wie sehen Sie das für die Brustkrebsfrüherkennung durch Mammographie?Die Methode der Mammographie wurde wenigstens in großen Studien überprüft. Es gibt zwar noch Streit über die Verlässlichkeit der Ergebnisse, aber immerhin wurde versucht, den Nutzen nachzuweisen. Die andere Frage ist aber, wie man Frauen aufklärt, die vor der Wahl stehen: Mammographie oder nicht. Ich meine, da muss man ehrlich sagen, dass zwar die Heilungschance verbessert werden kann – aber auch die Gefahr existiert, mit Diagnosen zurecht kommen zu müssen, die man ohne Screening nie gehabt hätte. Daneben gibt es bislang nur eine weitere in Studien gesteste Früherkennungsmethode: die auf Blut im Stuhl, die den Darmkrebs betrifft.

Sollte man sich alle übrigen Früherkennungsmaßnahmen Ihrer Ansicht nach also sparen?Der Sinn von Früherkennung ist, Heilungschancen zu verbessern. Dieses Potenzial haben nur wenige Methoden. Erschwerend kommt hinzu, dass nur wenige von tausend Teilnehmern einen Nutzen davon haben. Man muss also auch fragen: Was passiert mit denjenigen, die nicht auf einen Nutzen hoffen können?

Diese Fragen werden selten diskutiert. Warum?

Die Idee, dass Früherkennung heilen hilft, vermittelt Hoffnung und sie klingt zugleich plausibel. Um die Schadenseite von Früherkennung zu betrachten, muss man sich in Studien einarbeiten. Das ist mehr Kopf- als Baucharbeit. Vielleicht unterbleibt die Diskussion deshalb oft.

Aber auch viele Ärzte empfehlen doch Früherkennung.

Auch für Mediziner gilt, dass sie häufig nicht über die Bilanzen der Früherkennung aufgeklärt sind. Außerdem profitieren Ärzte davon, wenn Patienten zur Früherkennung gehen.

Was folgern Sie aus alldem?Nicht das Einstellen von Früherkennung. Aber man muss aufklären über ihre heikle Bilanz, damit jeder selbst entscheiden kann, ob er oder sie an Früherkennung teilnehmen will.

Sind Sie heute Abend auf heiße Diskussionen gefasst?Das Erfreuliche ist, dass die Diskussionen sehr abkühlen, wenn man nur genug Zeit bekommt, die Lage darzustellen. Dann überwiegt die Nachdenklichkeit.

Wird Ihnen nicht vorgeworfen, Menschen zu verunsichern?Ja. Aber die Alternative kann doch nicht sein, den Leuten eine falsche Sicherheit vorzugaukeln.

Fragen: Eva Rhode

Diskussion heute Abend um 20.00 Uhr im Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen, Parkallee 39, Raum 1070