Schlechte Rahmenbedingungen

betr.: „Weiterkommen statt sitzen bleiben“, taz vom 18. 11. 03

Das Bildungssystem in Deutschland ist leider schon seit ewiger Zeit so überholt wie veränderungsresistent. Dass Notendruck und Sitzenbleiben eher Leistungen hemmen als fördern, dürfte spätestens seit Pisa hinlänglich bekannt und durch die Ergebnisse anderer Länder (Finnland etc.) auch belegt sein. Insofern zeigt die Studie „Bildung neu denken“ nichts revolutionär Neues.

Eine Komponente dieser Studie der „Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft“ klingt jedoch höchst suspekt : Es „sollen in Zukunft pädagogisch wesentlich besser als heute qualifizierte Erzieherinnen eng mit den Grundschulen zusammenarbeiten und sicherstellen, dass Kinder je nach ihrem Entwicklungsstand bereits ab vier Jahren mit dem Schulunterricht beginnen können …“. Erstens gibt es bereits heute viele gut qualifizierte Erzieherinnen, die mit Grundschulen zusammenarbeiten (wenn diese Zusammenarbeit nicht immer funktioniert, liegt es auch oft an der mangelnden Bereitschaft/Zeit der Lehrer ), und zweitens ist mir kaum ein Kind bekannt, das im Alter von vier Jahren nach den heutigen Standards „schulreif“ wäre. Die Realität sieht leider so aus, dass zu viele Kinder selbst mit sechs Jahren noch überfordert sind. Die Intention der Auftraggeber der Studie ist ganz offensichtlich: Möglichst früh, möglichst hoch qualifizierte Mitarbeiter für ihre Unternehmen zu gewinnen (und das möglichst zum Nulltarif?).

Unsere Kinder brauchen aber genau das, was unsere Gesellschaft am wenigsten hat: Zeit und Geduld – und die fehlt nicht, weil unsere Lehrer oder Erzieher zu wenig qualifiziert sind, sondern weil die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen und sie durch zu große Klassen und Gruppen schlichtweg überfordert sind. Was ist unseren Bildungspolitikern die Zunkunft unserer Kinder wirklich wert? So wie es aussieht, wohl gar nix.

PETER KUHM, Karlsruhe