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Archiv-Artikel

Keine Angst vor Jobklau

Für den sozialen Frieden in der Bundesrepublik ist das zunehmende Lohngefälle im Inland gefährlicher als die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland

Der Zusammenhang zwischen Stellenabbau im Inland und neuen Jobs im Ausland ist unklar

Die Deutschen müssen dem Teppichboden dankbar sein. Denn Auslegware nimmt beim Transport leicht Schaden. Also landeten Teppiche in einer Studie der Boston Consulting Group auf der Liste jener Produkte, die auch künftig überwiegend in der Bundesrepublik hergestellt werden müssen. Abseits von Bodenbelägen ist die Liste sehr kurz. Bis zu zwei Millionen Jobs werden laut der Studie künftig durch Verlagerungen ins Ausland verloren gehen. Theoretisch.

Dass der deutsche Arbeitsmarkt nun von solch banalen Faktoren wie der mangelhaften Transporteignung von Teppichboden abhängen soll, wirkt nicht gerade beruhigend in der gegenwärtigen Globalisierungsdiskussion. Dort herrschen Hysterie und Tunnelblick vor. In kaum einer politischen Debatte ist der Panikfaktor so hoch wie in der Schreckensvision von Millionen von Osteuropäern, die bereit sind, für einen Bruchteil der deutschen Löhne Autos zusammenzuschrauben. Es reicht der Personalkostenvergleich eines Opelwerks in Bochum mit der Fabrik im polnischen Gliwice, um hiesige Beschäftigte in tiefe Hoffnungslosigkeit zu stürzen.

Das ist bedauerlich, denn die Gefühlslage der Arbeitnehmer in Deutschland ist angesichts der Globalisierungsdebatte besonders brisant. In der Sorge vor dem Jobklau durch osteuropäische Konkurrenz schwingt Fremdenangst mit – und vor allem ein Gefühl von Demütigung. Dagegen hilft es nicht, Länder mit niedrigerer Lohnstruktur als „Billiglohnländer“ abzuwerten.

Dabei könnte die allgemeine Datenlage angesichts der Ängste eigentlich beruhigend wirken. Denn die direkte Eins-zu-eins-Konkurrenz zwischen Fabriken über die nationalen Grenzen hinweg, so wie es beispielsweise bei VW verhandelt wurde, ist eher selten. Die konkrete Verlagerung wird quantitativ überschätzt. Bis heute gibt es keine zuverlässigen Studien zum Zusammenhang zwischen Stellenabbau im Inland und dem Entstehen neuer Jobs bei deutschen Firmen im Ausland.

Die Bundesbank nennt zwar immer wieder die Zahl von 50.000 Jobs, die alljährlich durch Tochterunternehmen deutscher Firmen aus dem verarbeitenden Gewerbe im Ausland neu entstehen. Doch damit ist nicht gesagt, ob dies zusätzliche Stellen sind, die der Markterschließung im Ausland dienen und damit auch das wirtschaftliche Wohlergehen des Mutterkonzerns sichern, oder ob diese neuen Stellen Ergebnis von Verlagerungen sind.

Selbst wenn viele der 50.000 neuen Jobs im Ausland Ergebnis von Abwanderungen wären – die Zahl wäre immer noch vergleichsweise gering. Im Zuge von Konjunkturkrise und Firmenschließungen etwa gingen von Anfang 2002 bis Anfang 2004 in Deutschland rund 800.000 Stellen für Arbeitnehmer verloren. In der Industriestatistik sind Rationalisierung, Automatisierung und Outsourcing neben den Absatzproblemen immer noch die wichtigsten Gründe für diesen Jobabbau.

Auch wer darauf verweist, dass hiesige Firmen zwar nicht direkt verlagern, aber im Wettbewerb mit dem Ausland aus Kostengründen zunehmend hintenanstehen, liefert damit keine Begründung für die massiven Jobverluste. Denn die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Firmen ist nach wie vor gut – darauf verweisen die nach wie vor vergleichsweise hohen deutschen Exportraten.

Was aber die öffentliche Debatte prägt, sind nicht die komplexen Zusammenhänge, sondern die konkreten Fälle, die durch die Medien wandern. Und da zeigt sich, dass die Drohung mit der Jobabwanderung den Arbeitgebern Druckmittel in die Hand gibt, die alle früheren Arbeitskämpfe um Lohnerhöhungen geradezu nostalgisch wirken lassen. Denn damals gab es noch klare Fronten und das Kampfmittel des Streiks für die Beschäftigten. Angesichts der Drohung des simplen Jobentzugs wirken Arbeitsniederlegungen dagegen heute paradox – ein Ausdruck von Verzweiflung, aber nicht von Kampfkraft.

Es ist daher kein Wunder, dass die jüngsten Einigungen etwa bei Siemens und VW Maßstäbe setzen, die vorher undenkbar waren. Siemens vereinbarte im Frühjahr Arbeitszeitverlängerungen ohne Lohnausgleich. Bei VW stimmte jetzt die IG Metall einem Lohnverzicht von mittelfristig bis zu einer Milliarde Euro zu. Die Gewerkschaft verkauft diese Einbußen als Erfolg, weil im Gegenzug bis zum Jahr 2011 Beschäftigung gesichert werden soll – aber selbst diese Jobgarantie ist bei schlechter Wirtschaftslage noch revidierbar.

Gegenüber diesen Einschnitten jedenfalls wirken die langatmigen Diskussionen in der Politik über eine Senkung der „Lohnnebenkosten“ um ein paar Zehntelprozentpunkte plötzlich lächerlich. Was bringt es, über eine Minderung der Krankenkassenbeiträge um 0,5 Prozentpunkte zu streiten, wenn ganz andere Kompromisse im Lohngefüge Deutschlands möglich sind, wenn erst mal der Dachstuhl brennt? So könnte man fragen.

Die Abschlüsse bei Siemens und VW treffen allerdings eine mehrheitlich eher gut gestellte Facharbeiterschaft. Dumpinglöhne finden sich in Deutschland gerade nicht in den angeblich von Verlagerung bedrohten Stellen in den Großkonzernen, sondern im hiesigen Dienstleistungssektor, also bei den Jobs, bei denen man gar nicht mit Abwanderung drohen kann. Gerade dort, im Dienstleistungsbereich, stellen sich die grundlegenden Entlohnungsfragen, besonders für die niedrig Qualifizierten, besonders für die Frauen. Längst gibt es nämlich auch in der Bundesrepublik einen Niedriglohnsektor – etwa im Einzelhandel, wo Jobber für einen Stundenlohn von fünf Euro in aller Herrgottsfrühe die Regale in den Supermärkten füllen.

In der gegenwärtigen Globalisierungsdiskussion herrschen Hysterie und Tunnelblick vor

An dieser Stelle kehren sich die internationalen Relationen interessanterweise um: Wo in anderen Ländern schon längst gesetzliche Regelungen zum Mindestentgelt eingeführt wurden, ist in Deutschland in vielen Branchen nach unten noch alles offen, oder aber die niedrigsten Tarifstufen unterschreiten die Mindestlöhne in anderen Ländern sogar noch. Die Briten beispielsweise haben den Wandel ihrer Wirtschaft weg von den Industrie- hin zu den Dienstleistungsjobs schon hinter sich. Angesichts der Dumpinglöhne wurde in Großbritannien vor einigen Jahren ein Mindestlohn eingeführt. Mit 6,80 Euro pro Stunde lieg dieser über den tariflichen Niedriglöhnen in Deutschland. Ein solches Mindestentgelt erschiene hiesigen Unternehmern inzwischen als zu hoch – das ist schon eine Ironie im angeblichen Hochlohnland Deutschland.

Dumpinglöhne entstehen nicht durch die Globalisierung von außen, sondern durch den Lohndruck von innen, den Wettbewerb auf dem hiesigen Arbeitsmarkt und die Preiskämpfe in einer lahmenden Binnenwirtschaft. Nicht nur das Lohngefälle zum Ausland, sondern auch die zunehmende Lohnspreizung im Inland wird daher die politische Diskussion in Deutschland künftig bestimmen. Und das ganz unabhängig davon, welche Industrieunternehmen hierzulande Jobs abbauen und neue Stellen nur noch im Ausland schaffen.

BARBARA DRIBBUSCH