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Archiv-Artikel

Die schlimmeren Tiere

Hypnotisch komponiertes Theater mit Fokusverlust: Gudrun Lelek inszeniert am Oldenburger Theater Wrede das Stück „Grenzgänger“ von Winfried Wrede als Bilderreigen im Niemandsland der deutsch-holländischen Grenze

Frösche unken, die Luft wispert vielstimmig. Irgendwo im Niemandsland liegt ein Mann auf einer Parkbank, am Bühnenrand steht ein alter Fix-Fotoautomat: Reste einer Grenzstation zwischen Deutschland und den Niederlanden. Dort ist es geschehen – eine Gruppe junger Niederländer wurde von den Deutschen exekutiert, eine junge Frau verschwand spurlos.

In Winfried Wredes Stück „Grenzgänger“ wird dieser karge Ort zum Schnittpunkt von Vergangenheit und Gegenwart. Da ist der alte Grenzer, noch immer auf dem Posten. Peter Jährling spielt ihn als Kauz, der die Gesellschaft der Tiere den Menschen vorzieht, denn, so macht die sich entblätternde Geschichte begreiflich, Menschen sind die schlimmeren Tiere.

Zum Beispiel das Klischee einer Journalistin, gespielt von Marga Koop. Sie, die niederländische Medienalibisauberfrau, wittert in dem alten Grenzer den Täter von einst. Mit dem Headset ständig auf Sendung, immer im Dienst, zappt sie sich verkrampft durch ein eigenes Leben, das nicht stattfindet.

Ein junges Mädchen pirscht sich heran, die Antennen ihres Transistors wie einen Degen gereckt. Sie ist auf Spurensuche nach der Lebensgeschichte ihrer Mutter, einer ehemaligen Widerstandskämpferin. Und dann poltert ein junger Mann herein, ein argentinischer Tänzer (Gustavo Fijalkow) ohne Pass, auf der Suche nach DEM Ausdruck, den er gar nicht öffentlich präsentieren darf so ganz ohne offizielle Existenz.

In der Regie von Gudrun Lelek am Theater Wrede treten diese Figuren zugleich auf. Die Bühne ist ein Schaukasten, innerhalb dessen sich unsere Aufmerksamkeit ständig verschiebt. Unsichtbar begleitet werden die Menschen von einem Raben (Winfried Wrede), dem Totenvogel, der auf seinem Ausblick die Trommel schlägt. Er kommentiert das Geschehen, zitiert Heine. Er ist der Rest vom antiken Chor, aber „leider ohne göttliche Vorsehung“.

Im Zugleich dieses komponierten Theaters entsteht ein Rhythmus, der sehr suggestiv wirkt. Der hypnotische Bilderreigen verzahnt über mehr als zwei Stunden Choreographie, Videoprojektionen, Gesang und witzige Einfälle mit einem aufklärerischen Unterton, der leichtfüßig über die Bühne tänzelt.

Zugleich entsteht so aber auch ein Problem. Wenn etwa der kräftige, doch Geisha-gleich trippelnde Grenzer der jungen Frau eine vollendete japanische Teezeremonie bereitet, mitten in der Pampa, und im Gesicht der jungen Frau deren Mutter wiederfindet, mit der ihn eine alte Geschichte verbindet. Es sind dies wundervolle Szenen, deren Poesie sich leider im Nebeneinander verliert. Eine Fokussierung hätte dem Stück gut getan. Wenn sie entsteht, dann eher absichtslos, aufgrund der unterschiedlichen Präsenz der beiden Tänzer und der beiden Schauspieler.

Nur selten, dann aber glücklich, verzahnt sich die Choreographie mit dem Schauspiel. Es hätte dramaturgischer Eingriffe bedurft, um dort Totalen zu schaffen, wo es um alle Beteiligten geht. Die Regie hätte Spielorte und Spieler ausschalten und Spots auf Einzelszenen setzen können. Solche beherzten Zugriffe hätten dem Stück zu dem Rhythmus verholfen, den die Trommel des Raben vorgibt: Es wäre der Rhythmus eines bildreichen, heiteren Totentanzes über die Nichtigkeit menschlichen Strebens. Marijke Gerwin

Nächste Vorstellungen: Mittwoch bis Samstag, jeweils 20 Uhr, in der theater fabrik rosenstraße, Rosenstraße 2, Oldenburg, Tel. 0441-9572022