: Der Kampf der Kulturen
Der Skandal um Florian Gerster kommt zu früh: Bevor er von Gerhard Schröder und Wolfgang Clement fallen gelassen wird, muss er erst noch sein radikales Reformwerk beenden
VON RALPH BOLLMANN
Der Delinquent tut alles, um sich unmöglich zu machen. Er trägt Jacken mit goldenen Knöpfen; er schmückt sich mit den Titel „Vorstandsvorsitzender“; er lässt als Erstes für 2,6 Millionen Euro sein Büro renovieren und für 2,5 Millionen Euro neue Schilder aufhängen; er logiert in einem der teuersten Hotels am Ort, statt sich endlich eine eigene Wohnung zu suchen; er hat eine Vorliebe für teure Unternehmensberater.
Es sind diese immer gleichen Stichworte, die das Medienecho zum Fall Florian Gerster prägen. Jene 1,3 Millionen Euro, die er ohne Ausschreibung einer PR-Agentur zuschanzte, sind nur der oberflächliche Anlass für die Aufregung um den Nürnberger Behördenchef. In Wahrheit geht es um einen Kampf der Kulturen: Darf man mit einem solch neureichen Unternehmergestus auftreten, wie Gerster es tut? Darf man es, wenn man einer staatlichen Behörde vorsteht? Und was ist, wenn diese Behörde just für Arbeitslose zuständig ist – also für eine wenig betuchte Bevölkerungsgruppe?
So groß ist die Entrüstung über Gerster, dass selbst seine Gegenspielerin im Aufsichtsrat derzeit in ungewohnt mildem Licht erscheint. Bislang galt die Gewerkschaftsfrau Ursula Engelen-Kefer, die mit ihrer metallischen Stimme das immer gleiche „Nein“ in die Fernsehkameras schnarrte, selbst in den eigenen Reihen als unverbesserliche „Mrs. Njet“.
Nicht einmal der Umstand, dass sie den Nürnberger Gremien schon seit einem Vierteljahrhundert angehört, wird ihr derzeit angekreidet. Umgekehrt hält sich auch Engelen-Kefer mit Kritik zurück. Der medial gegeißelte Etat für Öffentlichkeitsarbeit, gibt sie in den Medien zu Protokoll, sei in der Bundesanstalt eigentlich „ein Nebenkriegsschauplatz“.
In ihrem Unverständnis gegenüber den Benimmregeln der politischen Öffentlichkeit, ja in ihrem gänzlich ironiefreien Umgang mit der Wirklichkeit sind sich Gerster und Engelen-Kefer durchaus verwandt. Beide sind von ihrer Mission in der Nürnberger Behörde felsenfest überzeugt, während sich Außenstehende beispielsweise wundern konnten, warum die geschönten Vermittlungszahlen der Bundesanstalt vor zwei Jahren überhaupt zum Skandal wurden. Hatten Firmen oder Arbeitssuchende in ihrer Mehrheit je geglaubt, die Bundesanstalt könne wirklich Jobs vermitteln?
Die Ironie dabei, die Gerster selbst wohl nicht versteht: Indem er in Nürnberg als „Vorstandsvorsitzender“ eines Privatkonzerns auftritt, erklärt er selbst die öffentliche Institution – als öffentliche Institution – für unreformierbar, bestätigt also den Verdacht, den der gemeine Bürger längst schon hegte. Mit dem Frontalangriff, den Gerster mit der Kultur eines Privatunternehmers gegen die Kultur des Staates führt, schließt er die Fronten der Blockierer. Je geschlossener die Gegner aber auftreten, desto entschiedener tritt er dem Nürnberger Monstrum mit dem Gestus des Drachentöters entgegen.
Mit den Pionieren der Reform ist es wie mit Königsmördern: Sie werden gebraucht, um mit ihrer provozierenden Tat die Bahn für Neues frei zu machen. Um die Kräfte von Alt und Neu anschließend zu integrieren, sind sie aber gänzlich ungeeignet. Wer den Monarchen meuchelte, vor dem ängstigen sich dann auch die Untertanen. Wer alles eingerissen hat, dem traut das fröstelnd unbehauste Publikum dann nicht mehr zu, die Gebäude eines neuen Sozialstaats zu errichten.
Allerdings hat Gerster das Abrisswerk noch nicht vollendet. So lange wird er von seinem Minister Wolfgang Clement und von Kanzler Gerhard Schröder noch gebraucht. Das ist derzeit sein Glück, wenn auch ein zweifelhaftes Glück. Gäbe es Florian Gerster nicht, dann müsste ihn die Regierung wohl erfinden. Denn so wie Gerster seit knapp zwei Jahren in Nürnberg agiert, lässt er Schröder und sogar Clement geradezu als Traditions-Sozis erscheinen – und zieht allen Ärger auf sich.
Insofern kommt der Skandal zu früh, aber Schröder und Clement können unbesorgt sein: Ein neuer Anlass wird sich bei Bedarf schon bieten, ganz ähnlich wie bei Bahnchef Hartmut Mehdorn, der mit der gleichen Lust wie Gerster über Kunden und Belegschaft herzieht, in regelmäßigen Abständen zur Disposition steht – und als Bändiger des reformresistenten Staatsbetriebs einstweilen unersetzbar scheint.
Auch beim Monopolbetrieb Bahn hat die Privatisierung der Rechtsform lediglich dazu geführt, das Organisationschaos auf eine neue Ebene zu heben. Eines scheint also sicher: Der Kampf der Kulturen wird auch in Nürnberg vorerst weitergehen.