: „Die Vermögensteuer ist doch nicht viel mehr als ein Feigenblatt“, sagt Herr Kolb
Die Grünen können nur etwas bewegen, wenn die sozialen Bewegungen sie unterstützen. Das ist derzeit nicht der Fall
taz: Herr Kolb, am Wochenende ist Grünen-Parteitag – für die sozialen Bewegungen immer wieder ein wunderbarer Grund, sich darüber aufzuregen, was aus den Grünen geworden ist. Was bedeutet dieser Parteitag für Attac?
Felix Kolb: Er könnte etwas bedeuten, wenn die Grünen eine fundamentale Kurskorrektur vornähmen. Natürlich haben wir zur Kenntnis genommen, dass die Grünen mit der Vermögensteuer uns und ihren eigenen Linken symbolisch entgegenkommen wollen. Aber dabei handelt es sich doch nicht um viel mehr als ein Feigenblatt.
Wie soll die „fundamentale Kurskorrektur“ aussehen?
Die Grünen haben sich von einer Bewegungspartei in eine bürgerliche Partei verwandelt, die überwiegend Klientelpolitik macht. Davon müssten sie wieder Abstand nehmen, auf die globalisierungskritische Bewegung zugehen und ihre Forderungen übernehmen, statt sich hämisch davon abzugrenzen, wie dies Parteichefin Angelika Beer und auch die beiden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag getan haben.
Das ist jetzt aber etwas platt: Die Grünen sollten einfach wie Attac werden, und dann hat man sie wieder lieb.
Attac steht für bestimmte politische und ökonomische Positionen, die bei den Grünen nicht oder nicht mehr vertreten werden, darum geht’s. Die Grünen müssten zeigen, dass ihre Wirtschaftspolitik nicht nur aus Sozialabbau besteht, sie dürfen nicht bloß die FDP kopieren. Gegenwärtig führen die Grünen den Diskurs so einseitig wie nahezu die gesamte Presse: Als gäbe es keine Alternative zur Agenda 2010, keine Alternative zu dem, was die Wirtschaft verlangt.
Nun, wenn sie damit gewählt werden …
Die Geschichte zeigt, dass immer wenn bestimmte Haltungen oder Positionen über längere Zeit nicht im Parteienspektrum vertreten sind, die Menschen entweder nicht mehr wählen – wie in den USA. Oder es bildet sich eine neue Partei – und die könnte dann auch von rechts kommen. Die Grünen blenden diese unbeabsichtigte Wirkung ihrer Politik anscheinend aus und leugnen damit auch eine große Verantwortung.
Aber abgesehen von der konkreten Politik haben die Grünen auch immer einen gewissen moralischen Mehrwert verkörpert. Sie gelten immer noch als Antikorruptionspartei, stehen für Ehrlichkeit, Transparenz und Geschlechtergerechtigkeit. Zählt das nicht mehr?
Doch, sicher. Die Schwulen und Lesben, die Datenschützer und Bürgerrechtler, viele andere verbinden mit den Grünen auch einen gesellschaftlichen Aufbruch. In diesen Bereichen sind die Grünen auch sicher noch die Partei, die am weitesten denkt, und werden dadurch zum Sammelbecken für Ideen und Vorstellungen des gesellschaftlichen Fortschritts. Doch diese Sammelbeckenfunktion haben die Grünen in den Themen Atom und Frieden bereits verloren.
An den Grünen tobt sich bei Attac doch mehr aus als bloß die Wut über die „There is no Alternative“-Wirtschaftspolitik. Bei Attac sind viele ausgetretene und zutiefst frustrierte Exgrüne, die auf die Grünen von heute recht neurotisch reagieren und ihnen das gesamte Versagen von Politik vorwerfen.
Natürlich gab es bei Regierungsantritt 1998 auch überzogene Hoffnungen und Erwartungen – übrigens auch an die SPD. Die wurden schnell enttäuscht, und seither ist es auch bei einigen Attacies ein Trend, die Grünen zu Buhmännern zu stilisieren. Aber erstens machen die Grünen dabei mit, indem viele von ihnen nach Belieben noch den Anspruch vor sich hertragen, zu den sozialen Bewegungen zu gehören. Zweitens gibt’s das Phänomen beidseitig: Auch die Grünen scheinen doch ein Identitätsproblem zu haben, wenn sie – wie Beer – uns „völlige Orientierungslosigkeit“ vorwerfen oder Ähnliches. Das gegenseitige Attackieren jedoch schadet beiden: den sozialen Bewegungen wie den Grünen.
Warum?
Die Grünen können nur wirklich etwas bewegen, wenn sie die sozialen Bewegungen hinter sich wissen. Wenn etwa die Umweltbewegung mit für die Ökosteuer mobilisiert hätte, hätten Wirtschaft und Bild-Zeitung nicht so darin herumpfuschen können. Und die sozialen Bewegungen sind nur dann wirkungsvoll, wenn ihre Positionen irgendwie im Bundestag auch auftauchen. Diese wechselseitige Abhängigkeit wird jedoch nach Kräften geleugnet. Auf Dauer kann das nicht gut gehen, und die Linke insgesamt schwächt sich dadurch total.
Werden die Sprecher von Attac nicht bald auf denselben Staatsministerposten sitzen, auf denen die Grünen heute sitzen?
Nein, weil sich, erstens, Geschichte nicht wiederholt und wir, zweitens, unsere Lektionen aus der Geschichte der Grünen gelernt haben. Trotzdem könnten von mir aus noch viel mehr Grüne auf wichtigen Posten sitzen, wenn ihre Politik darauf abzielen würde, Globalisierung einzuhegen und den Sozialstaat globalisierungsfest zu machen.
Auf wen können soziale Bewegungen bei den Grünen noch setzen?
Bei der Grünen Jugend tut sich eine Menge. Die waren jüngst in Gorleben mit dabei, die erkennen, dass die gegenwärtige grüne Wirtschaftspolitik dem anderen urgrünen Ziel der Ökologie entgegensteht, die denken weniger in den Public-Relations-Sachzwängen der Partei.
INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN