: Kapitalismus, Sozialismus und die wichtigen Dinge
FINANZKRISE Das Ehepaar Richard Sennett und Saskia Sassen und ich
Das ist die taz: aus der Not eine Tugend machen. Wenn etwa der Reporter nicht mehr in die Veranstaltung kommt, über die er schreiben soll, dann muss die Moderatorin einspringen: Gute Gelegenheit für ein wenig Boulevard über das prominente Ehepaar, das über „Entwerte Arbeit in einer globalisierten Welt“ sprach.
Saskia Sassen hat einen 24-Stunden-Flug hinter sich und ist müde. Ihren Mann, Richard Sennett, traf sie auf dem Flughafen in London, zusammen flogen sie nach Berlin zum taz-Kongress. Er ist entspannt, schmaucht gemütlich seine Pfeife und bietet englische Peppermint-Pastillen an. Die Vorbesprechung findet während der Taxifahrt zum Kongress statt: Sennett, der Gesellschaftshistoriker, der an der Universität New York und der London School of Economics lehrt, sitzt vorne und fragt grinsend nach hinten zu seiner Frau: „Oh, wir werden Themen finden, worüber es sich zu sprechen lohnt, oder?“ Saskia Sassen, von derselben Universität in London und als Lynd Professorin an der Columbia University, lacht und wirft ihr Haar zurück: „Oh, ja“. Das eilige Vorgespräch erübrigt sich – eine Frage genüge, um die beiden ins Gespräch zu führen.
Also: Was können wir denn tun, um die Finanzkrise zu unserem Vorteil zu nutzen? Und: Gibt es rebellische Momente am Küchentisch der beiden Denker? „Ja, die gibt es!“, wirft Sassen sofort ein und wirft überschwänglich beinahe ihr Wasserglas um. „Eine wahre Küchentisch-Situation …“ kommentiert Sennett schmunzelnd das Temperament seiner Frau. Sie beschreiben die Gesellschaft als Architektur mit stabilen und unstabileren Pfeilern. Man müsse die Wirtschaft entern und zu unserer machen, fordert Sassen, die vom „The Winner takes it all“-Markt spricht. Sennett fordert, die Gewerkschaften sollten sich von den Berufsständen loslösen und besser vor Ort organisieren. Lebhaft verfangen sich die beiden in einem Gespräch, das sowohl in eine amerikanische Talkshow als auch an die Uni passen würde. Bildhafte Metaphern von Pferden, Dampfbad und Würmern fallen. „Es gibt Würmer, die sich langsam in die leeren Stellen, die die Wirtschaft hinterlässt, fressen“, meint Sassen und artikuliert damit ihre optimistische Weltsicht. Das Format des Gesprächs goutierten nicht alle, zu schwaflig war das den einen, ein cineastisches Erlebnis nannten es andere. „Zuhören, ohne genau zu wissen, was man mitnimmt, das war wie Kopfkino“, beschrieb später ein Zuhörer den Dialog. Oder war es ein Zuschauer? GINA BUCHER