: Für mehr Qualität an den Schulen
Cornelia von Ilsemann soll für „Innovations- und Qualitätsentwicklung“ der Bremer Schulen sorgen. Sie kommt aus Hamburg von der Max-Brauer-Gesamtschule. Zuletzt leitete sie die Entwicklungsabteilung im Hamburger Bildungsressort
taz: Schüler- und Lehrervertreter werden der Bildungsbehörde vor, sie habe ein großes Chaos geschaffen.
Cornelia von Ilsemann: In einem fest gefügten System schafft jede Veränderung sicher erst mal Verunsicherung. Wir sind dabei, diese Verunsicherung durch Information abzubauen, in der kommenden Woche beginnen zahlreiche Informationsveranstaltungen für Eltern der 4. Klassen in Grundschulen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das schaffen.
Zu schnell werde das Schulsystem verändert, sagen viele Kritiker, die sich sonst eher zu den Reformern zählen.
Wir verändern die Struktur doch, um Schülerinnen und Schülern eine bessere Schule zu bieten. Darum können wir nicht sagen: Wir beginnen erst 2005 mit der Veränderung. Die große Mehrheit der Eltern hätte kein Verständnis dafür.
Die Grundschullehrer sollen in den nächsten Wochen eine Empfehlung für die Kinder der 4. Klassen aussprechen, welche Bildungsperspektive und damit welche Chancen angemessen sind. Können die das?
Wir haben ihnen Kriterien an die Hand gegeben. Sie sollen beurteilen, ob sich ein Kind lange konzentrieren kann, wie es mit seinem räumliche Vorstellungsvermögen bestellt ist, ob es ab- strahieren kann, wie differenziert es redet usw. Grundschullehrerinnen und -lehrer haben die Kinder dreieinhalb Jahre lang unterrichtet und ihre Lernprozesse beobachtet. Da können sie zu einer begründeten Beurteilung kommen.
Was sagen Sie den Eltern potentieller Realschüler, die die Sorge haben, dass ihre Kinder in Sekundar-Klassen zusammen mit den Hauptschülern weniger gefordert werden?
Dazu gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse. In Hamburg wurden die Leistungen der Klassen 5, 7, 9 und 11 im Abstand von 2 Jahren flächendeckend von Prof. Lehmann untersucht. Dort ist ein Drittel der Haupt- und Realschulklassen integriert. Es hat sich gezeigt, dass der Leistungsstand der integrierten Klassen nicht schlechter war als derjenige der getrennten Klassen. Gleichzeitig ist dort das „Hauptschulsyndrom“, also die Einschätzung der Schüler: „Wir sind sowieso nichts wert“, verschwunden. Die negativen Symptome eines Hauptschul-Bildungsganges hat man beseitigen können, ohne dass die Leistungen der Realschüler abgesunken sind.
Wir kriegen die Hamburger Lehrer das hin? Können die Bremer Lehrer das auch?
Ja. Das kriegen Lehrer hin durch klare Regeln, die verbindlich in der ganzen Schule gelten und deren Einhaltung konsequent kontrolliert wird. Gleichzeitig haben die Lehrer Interesse an den Jugendlichen, kümmern sich um ihre Probleme und sind verlässlich. Das ist nicht zu verwechseln mit „Schmusepädagogik“. Die Kombination von Klarheit und Wärme ist entscheidend. Ich würde gern gute Hamburger Sekundarschullehrer einladen, dann können Bremer Lehrer diese Beispiele kennen lernen. Ich bin aber sicher, dass es auch hier viele gute Ansätze für das gemeinsame Lernen von Haupt- und Realschülern gibt.
Passt der Modellversuch „Sechsjährige Grundschule“ nich in das System?
Die sechsjährige Grundschule macht dann großen Sinn, wenn sie einen direkten Anschluss hat an ein weiterführendes integriertes Systemen. Meine persönliche Erfahrung in der Max Brauer-Schule sagt mir: Wenn die Kinder von der Vorschule bis zum Abschluss, dort auch bis zum Abitur, zusammen bleiben, kann man für ein hohes Maß an pädagogischer Kontinuität sorgen. Sicher muss man später stärker differenzieren, weil die Interessen und die Begabungen älterer Schülerinnen und Schüler auseinander gehen. Aber diese entsetzlichen Brüche, wo nach vier Jahren Grundschule das gemeinsame Lernen zerhackt wird, und dann wieder nach zwei Jahren Orientierungsstufe, die rächen sich in der Lernbiografie. Und das besonders bei Kindern, die angewiesen sind auf stabile Gruppen und klare Regeln. Die sechsjährige Grundschule ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Fremdkörper im System ist der gymnasiale Sonderweg?
Erfolgreiche Pisa-Länder zeigen uns, dass alle Kinder gemeinsam lernen können, ohne dass das Niveau sinkt, im Gegenteil, die Schwächeren werden nicht abgehängt und die Leistungsstarken besonders gefordert. Das ist natürlich nicht nur eine Frage der Struktur, sondern auch eines Unterrichts, der Kinder individuell unterstützt und herausfordert. In deutschen Schulen wird zu oft gesagt: „Dieses Kind gehört nicht hierher“. Die Frage ist, wie schafft man eine gesellschaftliche Übereinstimmung über solch einen neuen Ansatz? Wie schafft man das Misstrauen ab, dass das Niveau sinkt, wenn alle Kinder zusammen lernen? Kinder können auch voneinander lernen.
Bremen hat das mit der Orientierungsstufe ausprobiert. Am Ende waren alle dafür, das Experiment zu beenden.
Anfang der 90er Jahre hat die Schulreformkommission ...
...die berühmte Klafki-Kommission hat viele Vorschläge auf Papier produziert, umgesetzt wurde das aber nicht.
In diesem Punkte stimmt das. Diese Kommission hat gesagt: Die Orientierungsstufe muss weiter entwickelt werden. Mir scheint: Die Orientierungsstufe hat die Balance zwischen Fordern und Fördern nicht geschafft. Und der Zeitraum von zwei Jahren ist auch einfach zu kurz, damit sich Kinder entwickeln können.
Die Modellversuche „Abi nach 12 Jahren“ gehen bisher davon aus, dass dieser Bildungsgang nur für besonders begabte Gymnasialschüler möglich ist.
Jetzt sollen alle Gymnasial-Schüler das Abi nach 12 Jahren erreichen. Dafür erhalten sie mehr Stunden und es geht um eine andere Art des Unterrichts. Schülerinnen und Schüler sollen z.B. selbstständiger lernen und im Team arbeiten. Wir werden die Strukturfragen verbinden mit einer Veränderung der Unterrichts- und Lernkultur in dieser Stadt, damit die Strukturveränderung nicht verpuffen kann.
Wissen die Lehrer schon, wie sie im nächsten Schuljahr die 5. Klassen unterrichten sollen? Welche neue Lernkultur sie praktizieren sollen?
Das ist sicher unterschiedlich. Im kommenden Frühjahr werden wir für viele von den zukünftigen Klassenlehrern der 5. Klassen Fortbildungen anbieten. Für mich ist die ganze Schulstrukturdiskussion ein Teil einer Qualitätsoffensive.
Haben Sie mal einen Aufsatz geschrieben, in dem die Lehrer schon mal nachlesen können, was die neue Unterrichtskultur bedeutet?
Gute Beispiele gibt es in der Laborschule Bielefeld und der Helene-Lange- Schule in Wiesbaden. Da wird anders unterrichtet und beide Gesamtschulen haben hervorragende Pisa-Ergebnisse erreicht. Die Leiterin aus Bielefeld hat gerade einen Vortrag in Bremen gehalten. (dokumentiert unter www.mehr- dazu.de).
Wann beginnt die Qualitätsoffensive?
Damit haben wir schon begonnen. Wir bündeln das, was da ist, koordinieren es besser, und werden auch neue Maßnahmen einleiten, z.B. eine verpflichtende Fortbildung für alle Lehrerinnen und Lehrer in der unterrichtsfreien Zeit von 40 Stunden pro Jahr. Die Vergleichsarbeiten werden in Zukunft mit anderen Ländern gemeinsam organisiert. Dann wissen wir jedes Jahr, wo die bremischen Schulen im Vergleich stehen. Vor allem gibt es einen neuen Anreiz für die Schulen, sich um mehr besseren Unterricht und ein attraktives Schulleben zu bemühen: Die Nachfrage der Eltern wird einen ganz großen Einfluss bekommen. Eltern werden nach Qualität wählen.
Fragen: Klaus Wolschner
Homepage der Laborschule Bielefeld: www.laborschule.de
Material zur Schulreform Bremen: www.bildung.bremen. de (die neue Bremer Schule)
Die neue Bremer Senatsrätin Cornelia von Ilsemann war 10 lange Jahre Leiterin der Gymnasialen Oberstufe der Max- Brauer-Gesamtschule, an der die „Profiloberstufe“ erfunden wurde. Die rot- grüne Koalition in Hamburg holte sie in die Behörde, wo sie sechs Jahre lang Leiterin der Entwicklungsabteilung der dortigen Bildungssenatorin war.