: In Wittgensteins Tischlerei
Ohne jeden Hinweis auf die jeweilige Urheberschaft: Monica Bonvicini und Sam Durant produzieren in kollektiver Arbeit die Ausstellung „Break it/fix it“ in der Wiener Secession. Ihre künstlerischen Herangehensweisen sind dabei durchaus heterogen
VON HARALD FRICKE
An manchen Institutionen lässt sich schwerlich rütteln. Die 1897 von bildenden Künstlern gegründete Wiener Secession ist das älteste unabhängige Ausstellungshaus der Welt, in dem ausschließlich zeitgenössische Kunst gezeigt wird. Nicht einmal die Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich hat an diesem Auftrag etwas ändern können: Nach der Wahl wurde die Fassade monatelang als öffentliches Forum für Plakataktionen gegen die Mitte-rechts-Koalition genutzt. Direkt im Zentrum der Stadt war schon von weither sichtbar, wo die Kunst in Wien politisch steht.
Zu diesem Selbstverständnis passt nun auch „Break it/fix It“ von Monica Bonvicini und Sam Durant im oberen Stockwerk des Gebäudes. In guter Sixties-Tradition wurde hier ein Konzept gemeinsam entwickelt, wurde überhaupt die gesamte Fläche des Raums mit einer einzigen labyrinthischen Installation bestückt, in der die individuelle Autorschaft aufgehoben ist. Die schwarz gemalten Textfragmente auf weiß beschichteten Pressspanwänden, das dreieckige Kabinett aus Glas, ein von der Decke hängendes Objekt aus zertrümmerten Häusermodellen, das Video einer Kettensägen-Performance im Atelier von Durant – nirgends findet sich ein Hinweis auf die jeweilige Urheberschaft, alles wurde kollektiv produziert. Das ist für Künstler dieser Größenordnung mehr als ungewöhnlich: Die in Berlin lebende Bonvicini war bereits 1999 mit gerade mal 34 Jahren zur Biennale in Venedig als Vertreterin für Italien eingeladen, der 1961 in Seattle geborene Durant gilt spätestens seit seiner Anfang des Jahres von Los Angeles nach Düsseldorf getourten Retrospektive auch hierzulande als Aushängeschild für „minimal sculpture“ an der Westcoast.
Ein vergleichbar auswucherndes Teamwork gab es zuletzt bei Mike Kelley und Paul McCarthy, das liegt mittlerweile fast ein Jahrzehnt zurück. Zugleich sind die künstlerischen Herangehensweisen, auf denen die Secessions-Ausstellung beruht, eher heterogen. Während bei Bonvicini die Auseinandersetzung mit einer seit der Renaissance von Männern geprägten Architekturwelt im Mittelpunkt steht, interessiert sich Durant dafür, wie politischer Aktivismus und popkulturelles Rebellentum made in USA innerhalb der vergangenen 40 Jahre zusammengegangen sind. Bonvicini arbeitet sich aggressiv mit Raumeinbauten am Club der alten Herren von Le Corbusier bis Philip Johnson und Peter Eisenman ab, Durant liest Manifeste der Black Panther quer zur amerikanischen Hippiebewegung und verschränkt beides in seinen Entwürfen für Monumente der Gegenwart. Die eine hackt Löcher in die Geschichte – zumindest in die der Architektur –, der andere gräbt nach Wurzeln am Rande des Rock-’n’-Roll-Highway von Altamont bis Kurt Cobain.
In Wien ist der gemeinsame Nenner weder Axt noch Gitarre, sondern ein Aphorismus von Ludwig Wittgenstein. „Anrennen gegen die Grenze der Sprache? Aber die Sprache ist ja kein Käfig“, heißt seine philosophische Vorgabe, nach der Bonvicini und Durant den Ausstellungsraum eingerichtet haben – Sackgassen inklusive. Immer wieder endet der Parcours durch die verschachtelte Architektur in einem toten Winkel aus gläsernen Wänden, von denen aus man allerdings einen umso besseren Blick über die Gesamtkonstruktion hat. Ständig stehen die eingebauten Raumteiler als Hindernisse im Weg und sind doch weitläufig genug gesetzt, um die Halle großzügig wie eine offene Fläche wirken zu lassen.
Tatsächlich ist der besagte Käfig als physische Barriere die unmittelbare Übersetzung seines sprachlichen Pendants: Der Grundriss, nach dem der Raum mit den zusätzlichen Stellwänden unterteilt wurde, ergibt das Wort „CAGE“. Schon ist die Falle ausgelegt, klappen Bedeutung und Erfahrung – zumal am Gegenstand der Sprache – weit auseinander. Am Ende wird der Betrachter selbst zum Akteur auf der Ausstellungsbühne: als Gefangener des White Cube. Draußen scheint die Sonne, drinnen scheint die Kunst. Ähnlich grotesk ist das Geschehen im Video, bei dem Bonvicini und Durant erst das aus regalhohen Buchstaben gebaute Wort „Angst“ zertrümmern, um es danach als „Fear“ neu zusammenzusetzen. Sisyphos schleppt keine Steine mehr, er arbeitet heute in Wittgensteins Tischlerei.
Dabei geht es Bonvicini und Durant trotz aller Leichtigkeit der lichten Inszenierung um den Kampf mit den verborgenen Mechanismen der Sprache, die den Dingen ihre Ordnung gibt. Was als „tautologisches Spiel“, wie es in einem Statement der beiden Künstler heißt, innerhalb der raumgreifenden Situation an absurdes Theater erinnert, beruht auf Untersuchungen zu konkreten Machtverhältnissen. Der Schlüssel dafür sind die kurzen Satzfetzen, die den Betrachter von überall her anlocken. Mal ist von einem Elektriker die Rede, der mit anderen Arbeitern nur über eine Mauer hinweg kommunizieren kann; mal erklärt ein Architekt, dass er beim Bauen lieber Löcher freigelassen hätte. Diese Texte stammen wiederum aus Interviews: Der Elektriker war in Los Alamos beschäftigt, durfte jedoch nie erfahren, was dort erforscht wurde – die Mauer, von der er spricht, diente der Regierung schlichtweg als Schutzvorrichtung gegenüber den eigenen Angestellten bei der Produktion der Atombombe.
Und der Architekt? Arbeitet als Angehöriger der afroamerikanischen Community gegen die Entwicklung von urbanen Sicherheitszonen an. So wird der symbolische Käfig zum Spiegel realer Ausschlussarchitekturen, deren Konsequenzen sich dem Raum wortwörtlich einschreiben. Das ist der Ernst hinter dem Spiel. Ein bisschen demonstrativ zwar, aber auch die effektvolle Verklammerung von Politik und Leben gehört zur Kunst wie ein Punchingball zum Boxer: Ständig muss er den eigenen Schlag trainieren, hart und präzise. Man weiß ja nie, wie stark der nächste Gegner ist.
Bis 1. 2. 2004, Secession, Wien