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Archiv-Artikel

„Die Türkei steht mit einem Bein in jeder Ditib-Moschee“

Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer vermutet, dass die Initiative zu der Großdemo aus Ankara kommt. Das muss aber nicht schlecht sein

taz: Der größte Dachverband türkischer Muslime in Deutschland, Ditib, hat zur Großdemo in Köln aufgerufen. Rechnen Sie mit einem Erfolg?

Michael Kiefer: Ditib vertritt rund 900 Moschee- und Sportvereinen, das ist sicher ein enormes Potenzial. Die Frage ist, ob es dem Verband auch gelingt, die angekündigten 30.000 Teilnehmer zu mobilisieren. Ich bin etwas skeptisch, ob das gelingt.

Warum?

Weil die Milli-Görüs-Moscheen offenbar nicht mitziehen, und die sind hier in der Region ziemlich stark. Aber wenn nur die Hälfte kommt, wäre das ja auch schon ein Erfolg.

Wie kommt es, dass Ditib sich als größter muslimischer Dachverband erst jetzt zu Wort meldet? Bislang hat er sich ja auffällig zurück gehalten.

Ditib ist kein autonomer Verband, sondern dem Präsidium für Religionsangelegenheiten in der Türkei zugeordnet. Ich denke, dass Ankara gewollt hat, dass Ditib Zurückhaltung übt und im Stillen seine Arbeit macht. Erst jetzt arbeitet der Verband am Aufbau einer deutschsprachigen Homepage! Das und auch die angekündigte Demonstration sehe ich jedoch als Zeichen dafür, dass man sich und die eigene Arbeit nun stärker in die deutsche Öffentlichkeit einbringen will.

Ein Paradigmenwechsel?

Ankaras Ziel im Rahmen eines möglichen EU-Integrationsprozesses ist es, dass Ditib stärker als Akteur auftritt und als offizieller Ansprechpartner anerkannt wird. Ich sehe den Aufruf zur Demonstration im Kontext dieser Strategie. In diesem Fall ist das positiv – dass der größte muslimische Dachverband erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik so einen Aufruf verfasst. Denkbar sind aber auch andere Initiativen, die nicht im Sinne der Integration sind.

Zum Beispiel?

Etwa indem der türkische Staat in den Islamunterricht an deutschen Schulen hineinregiert. In Deutschland gilt die staatliche Neutralitätspflicht. Durch Ditib könnte dieses Prinzip durchbrochen werden.

Warum? Die Türkei propagiert doch die Trennung von Staat und Religion, oder?

Die Türkei mag ein säkularer Staat sein. Aber der Staat mischt sich massiv in die Religion ein – das geht von der Organisation der Moscheen bis zur Ausbildung und Finanzierung von Imamen. Das hat mit Laizismus im eigentlichen Sinne, also der Trennung von Staat und Religion, wenig zu tun. In der Türkei ist Religion eine staatliche Angelegenheit. Problematisch ist, dass Ditib nicht unabhängig ist.

Ist Ditib also der verlängerte Arm der Türkei?

Die Moscheevereine genießen eine gewisse Autonomie. Aber ihr Personal, die insgesamt 685 Hocas und Imame sind Beamte des türkischen Staates, die hier für 5 bis 6 Jahre in Deutschland ihren Dienst versehen. Die Dienstaufsicht liegt bei den Konsulaten, und sie sind weisungsgebunden.

Es gibt ja eine Debatte darüber, ob in den Moscheen hierzulande nicht in deutscher Sprache gepredigt werden sollte. Wie reagiert Ditib darauf?

Ich gehe fest davon aus, dass sich die Ausbildung der Imame, die aus der Türkei hierher kommen, ändern wird: In drei oder vier Jahren werden sie der deutschen Sprache mächtig sein. Aber das ist nur ein Teil des Problems: Der türkische Staat müsste den Muslimen in Deutschland auch zugestehen, eine eigenständige und unabhängige Religionsgemeinschaft zu sein. Man muss wissen: Der türkische Staat steht auch in Deutschland mit einem Bein in jeder Ditib-Moschee.

INTERVIEW: DANIEL BAX

Hinweis: MICHAEL KIEFER, Islamwissenschaftler in Düsseldorf. Er arbeitet zum Themenfeld islamischer Religionsunterricht und ist wissenschaftlicher Begleiter des Schulversuchs islamischer Unterweisung in NRW. Von ihm stammt ein Buch zu „Antisemitismus in den islamischen Gesellschaften“.